Jahrzehntelang haben katholische Geistliche Kinder und Jugendliche missbraucht. Das belegt eine Studie der Kirche mit anonymisierten Daten. Sechs Strafrechtsprofessoren haben nun Strafanzeigen erstattet und Durchsuchungen gefordert.
Sechs renommierte Juraprofessoren haben am Freitag in Verbindung mit dem Institut für Weltanschauungsrecht (ifw) Strafanzeigen bei jenen Staatsanwaltschaften eingereicht, die für die 27 Diözesen in Deutschland zuständig sind. Die Strafanzeigen richten sich gegen Unbekannt wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs von Kindern und des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern.
In ihrer elfseitigen Begründung legen die Rechtsexperten dar, dass im Fall des katholischen Missbrauchsskandals ein zwingender Anlass zur Einleitung von "Ermittlungsmaßnahmen zur Überführung der Täter" bestehe, "etwa für eine Durchsuchung von Archiven und die Beschlagnahme der vollständigen, nicht anonymisierten Akten." Der Mustertext der 27 Strafanzeigen wurde am Sonntagabend auf der Website des ifw veröffentlicht.
Ende September hatten unter anderem die Bistümer Osnabrück, Hildesheim und Münster parallel zu einer bundesweiten Studie der katholischen Kirche bekanntgegeben, dass Geistliche in den vergangenen Jahrzehnten in Niedersachsen und Bremen mehr als 220 Minderjährige missbraucht haben. In ihrem Schreiben zeigen sich die Strafrechtsprofessoren Holm Putzke, Rolf Dietrich Herzberg, Eric Hilgendorf, Reinhard Merkel, Ulfrid Neumann und Dieter Rössner überrascht darüber, "wie
zurückhaltend Staat und Öffentlichkeit (bislang) mit dem alarmierenden Anfangsverdacht schwerer Verbrechen umgehen."
Reicht die anonymisierte Studie für Durchsuchungen aus?
Die niedersächsische Justizministerin hingegen hatte am Freitag noch bezweifelt, dass die bisher vorliegenden Erkenntnisse ausreichen, damit die Staatsanwaltschaft von sich aus Ermittlungsverfahren einleitet. Barbara Havliza ermutigte bei einer Sitzung im Landtag in Hannover vielmehr die Opfer, sich bei den Strafverfolgungsbehörden zu melden. Die Staatsanwaltschaften seien in ihren Möglichkeiten eingeschränkt, solange keine Opfer namentlich bekannt seien.
Die Studie beziehe sich im Wesentlichen auf den Zeitraum von 1946 bis 2016, in Einzelfällen gehe es auch bis zum Jahr 1931 zurück. Aber "sie nennt weder Namen von möglichen Tätern und Opfern noch konkrete Tatorte - also genau das nicht, was zu Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen eine
Person erforderlich ist."
Möglicherweise könne eine Befragung der an der Studie beteiligten Wissenschaftler mehr Licht ins Dunkel bringen, sagte Havlize. Doch auch den Forschern habe das Aktenmaterial nur in anonymisierter Form vorgelegen. Für Durchsuchungen müsse es aber zunächst einen Anfangsverdacht geben. "Die Staatsanwaltschaft darf also nicht losgehen und durchsuchen in der vagen Hoffnung, man werde bei den Bistümern schon etwas finden, das einen Verdacht gegen eine noch unbestimmte Person begründen wird." Dies gelte umso mehr, als die katholischen Bistümer, in deren Archiven strafverfolgungsrelevante Unterlagen liegen könnten, juristisch gesehen Unbeteiligte seien.
Die Strafrechtler, welche die Strafanzeigen erstattet haben, kommen dagegen nach eigenen Angaben nach Auswertung der vorliegenden Befunde zum sexuellen Missbrauch durch Geistliche, der Verjährungsfristen und der Vorgaben der Strafprozessordnung (StPO) zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen für die Aufnahme der Ermittlungen, vorlägen. Es gebe zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für die Begehung von Straftaten, § 152 Abs. 2 StPO. Das Gleiche gelte für die Möglichkeit von Durchsuchungsanordnungen (§§ 103, 105 StPO). Es sei daher zwingend, dass entsprechende Ermittlungen aufgenommen würden. Die Staatsanwaltschaften müssten die Herausgabe der entsprechenden Unterlagen bei den Diözesen anfordern.
mgö/LTO-Redaktion
Mit Materialien der dpa
Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche: . In: Legal Tribune Online, 29.10.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/31757 (abgerufen am: 05.11.2024 )
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