LSG Baden-Württemberg: Pub­likum muss Zwi­schenruf von behin­derten Men­schen hin­nehmen

02.03.2021

Behinderte Menschen, die nicht an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen können, steht eine Ermäßigung des Rundfunkbeitrags zu. Dabei geht es allerdings nicht um Befindlichkeiten der Öffentlichkeit, wie das LSG Stuttgart nun klarstellte.  

Zwischenrufe oder andere Lautäußerungen von behinderten Menschen bei Kulturveranstaltungen dürfen nach einer Entscheidung des Landessozialgerichts (LSG) Baden-Württemberg nicht zum Ausschluss dieser Menschen führen. Krankheitsbedingte Störungen von behinderten Menschen auf öffentlichen Veranstaltungen seien grundsätzlich hinzunehmen, um einer Diskriminierung entgegenzuwirken, hieß es in einer Mitteilung des Gerichts am Dienstag. Das Stuttgarter Gericht wies die Berufung einer schwerbehinderten Frau aus Vaihingen Enz (Kreis Ludwigsburg) ab, die sich eine Ermäßigung der Rundfunkgebühren erstreiten wollte (Urt. v. 12.02.2021, Az. L 6 SB 3623/20).

Die 48-Jährige hat einen Schlaganfall erlitten und kann seitdem nach eigenen Angaben keine Filme mehr anschauen, ohne sich dabei aggressiv zu verhalten und laut zu schreien. Seit ihrer Erkrankung identifiziere sie sich so sehr mit den Schauspielern, teilte ein Gerichtssprecher am Dienstag mit. Die Frau gab an, deshalb keine öffentlichen Veranstaltungen wie Kinos und Theater mehr besuchen zu können und begehrte deswegen die Feststellung der Rundfunkgebührenermäßigung.

Es kommt nicht auf Befindlichkeiten anderer an

Für Blinde, Hörgeschädigte und besonders schwer behinderte Menschen, die dauerhaft an Veranstaltungen nicht teilnehmen können, ist eine Ermäßigung der Rundfunkgebühren möglich. Für die Ermäßigung muss die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen nach Auffassung des Landessozialgerichts ständig unmöglich sein. Maßgeblich sei dabei allein die Möglichkeit der körperlichen Teilnahme. Die Klägerin ist nach Auffassung des Gerichts mit Rollstuhl und Begleitperson aber ausreichend mobil, um Veranstaltungen zu besuchen.

Um die Befindlichkeiten anderer darf es laut LSG allerdings nicht gehen: Der auf die gesellschaftliche Teilhabe gerichtete Zweck Gebührenermäßigung würde in sein Gegenteil verkehrt, wenn es mit dem Ziel zuerkannt werden könnte, besonderen Empfindlichkeiten der Öffentlichkeit Rechnung zu tragen und damit Behinderte quasi wegzuschließen. Damit werde ihre Teilhabe gerade verhindert, wie es in einer Mitteilung des Gerichts hieß. 

Deshalb stehe die Ermäßigung auch besonders empfindsamen Behinderten nicht allein deshalb zu, weil sie die Öffentlichkeit um ihrer Mitmenschen willen meiden. Indem es gerade nicht darauf ankommen dürfe, inwieweit sich Teilnehmer an öffentlichen Veranstaltungen durch Behinderte gestört fühlen, werde einer Ausgrenzung von schwerbehinderten Menschen und damit auch einer Diskriminierung entgegengewirkt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. 

acr/LTO-Redaktion

mit Materialien der dpa

Zitiervorschlag

LSG Baden-Württemberg: . In: Legal Tribune Online, 02.03.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44395 (abgerufen am: 20.11.2024 )

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