Bundes- und Vizekanzler übertreffen sich mit Ankündigungen zum deutschen Lieferkettengesetz: Es "kommt weg", und zwar mit der Kettensäge. Dabei steht die Umsetzung der EU-Lieferketten-Richtlinie an, die ganz ähnliche Pflichten vorsieht.
Bundeskanzler Olaf Scholz hat der Wirtschaft eine Entlastung von Bürokratie zugesagt. "Das haben wir ja gesagt, das kommt weg", sagte der SPD-Politiker beim Arbeitgebertag in Berlin in Bezug auf das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG).
Er äußerte sich damit ähnlich wie kürzlich Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne): Der hatte Anfang Oktober bei einem Unternehmertag des Außenhandelsverbands BGA Kritik an den u.a. im Gesetz vorgesehenen Berichtspflichten geäußert und ein Umdenken gefordert. Man müsse den Unternehmen wieder mehr Eigenverantwortung zutrauen. Der Weg seien nicht einzelne kleine Verbesserungen, "sondern die Kettensäge anzuwerfen und das ganze Ding wegzubolzen".
Diese Rhetorik von Kanzler und Vizekanzler gegenüber Unternehmensverbänden täuscht allerdings darüber hinweg, dass die Bundesregierung ebenfalls vorhat, noch in der laufenden Legislatur die europäische Lieferketten-Richtlinie CSDDD umzusetzen. Und dass diese ganz ähnliche Sorgfalts- und Berichtspflichten wie das LkSG aufstellt. Insofern ist fraglich, inwiefern das "Bürokratiemonster", das die Unternehmen monieren, wirklich "weg kommt" bzw. "wegkommen" kann, ohne gegen EU-Recht zu verstoßen.
Scholz und Habeck gehen auf Wirtschaft ein
Der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Rainer Dulger, drängte beim Arbeitgebertag auf Fortschritte. "Wir haben mehrfach darum gebeten, dieses Gesetz entweder zu lockern oder außer Kraft zu setzen. Der Wirtschaftsminister hat uns das auch mehrfach bestätigt, dass er verstanden hat, worum es geht und dass er sich sofort an die Arbeit machen wird. Aber erreicht, geliefert hat er nichts", bemängelte Dulger.
Scholz entgegnete nun auf Dulgers Ruf nach Veränderungen, diese kämen "dieses Jahr noch". Dulger konnte er damit noch nicht gänzlich überzeugen. "Ich glaube Ihnen das, wenn die Tinte trocken ist und es bei mir auf dem Lieferschein steht."
Die Bundesregierung hatte in ihrer "Wachstumsinitiative" angekündigt, bei der Umsetzung von Sorgfalts- und Berichtspflichten gelte es, unverhältnismäßige Belastungen der Unternehmen zu vermeiden. Die CSDDD solle deshalb so bürokratiearm wie möglich umgesetzt werden. Die Bundesrepublik hatte der Richtlinie auch nicht zugestimmt, dennoch wurde sie im Frühjahr verabschiedet, LTO berichtete.
Weniger Bürokratie unter CSDDD?
Doch ist fraglich, wie "bürokratiearm" sich die Richtlinie überhaupt umsetzen lässt, denn sie verfolgt den gleichen Regulierungsansatz wie das LkSG – und geht in den Rechtsfolgenden für Pflichtverletzungen sogar darüber hinaus. Die Bußgelder nach der CSDDD sind deutlich höher als die nach dem LkSG, zudem sieht die EU-Richtlinie eine zivilrechtliche Haftung für Zulieferer vor, die mit dem LkSG gerade nicht eingeführt worden war.
Ob mit der Umsetzung der Richtlinie, welche sodann anstelle des LkSG treten wird, wirklich weniger Bürokratie einhergeht, bleibt abzuwarten. Die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) hatte dies bereits bezweifelt.
Will die Bundesregierung den Unternehmen Zeit verschaffen?
Möglich ist, dass die aktuelle Bundesregierung Zeit gewinnen will: Sie könnte das LkSG zeitnah "wegbolzen", für die Umsetzung der CSDDD bleibt den Mitgliedstaaten noch knapp zwei Jahre, bis zum 26. Juli 2026, Zeit. Wollen Scholz und Habeck allerdings Einfluss auf die CSDDD-Umsetzung nehmen, dann müssen sie das Umsetzungsgesetz bis zur kommenden Bundestagswahl in elf Monaten verabschieden.
Die Aussagen könnten allerdings auch so gedeutet werden, dass die Bundesregierung durch eine Eins-zu-eins-Umsetzung langfristig weniger Unternehmen Sorgfaltspflichten auferlegen und den erfassten Unternehmen mehr Zeit gewähren will. Zeit, um ihre Compliance-Systeme auf Zulieferer zu erweitern und die Prozesse zur Überwachung der eigenen Lieferkette und zur Dokumentation der Pflichterfüllung zu implementieren.
Das LkSG gilt schon seit 2023 Unternehmen mit mehr 3.000 Arbeitnehmern, seit Januar 2024 für solche mit mehr als 1.000 Arbeitnehmern. Die neuen CSDDD-Sorgfaltspflichten werden weniger Unternehmen treffen. Zudem sind sie erst ab Sommer 2027 anzuwenden. Dann gelten sie zunächst nur für Unternehmen mit mehr als 5.000 Beschäftigten und einen weltweiten Nettoumsatz von mehr als 1,5 Milliarden Euro. Diese Schwellenwerte verringern sich bis 2029 auf 1.000 Arbeitnehmer und einen Umsatz von 450 Millionen Euro. "Kommt" das LkSG also entsprechend Scholz' Ankündigung zeitnah "weg", und setzt man die EU-Vorgaben inhaltlich wie zeitlich nur eins zu eins um, so hätten Unternehmen, die heute eigentlich schon nach dem LkSG sorgfalts- und berichtspflichtig wären, doch noch deutlich länger Zeit. Je nach Unternehmensgröße wären das gut zweieinhalb, dreieinhalb bzw. viereinhalb Jahre.
mk/jb/LTO-Redaktion
mit Material der dpa
Aussagen von Scholz und Habeck: . In: Legal Tribune Online, 22.10.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55683 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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