Zur Europawahl im Mai 2019 warb die NPD mancherorts mit Plakaten mit der Aufschrift "Migration tötet". Die Frage, ob diese Aussage eine Volksverhetzung ist, beschäftigte nun das nächste Gericht.
Die verfassungskonforme Auslegung des Tatbestands der Volksverhetzung erfordere, dass alle Auslegungsmöglichkeiten einer Aussage berücksichtigt werden. Dementsprechend entschied das Landgericht Potsdam (LG) in einem aktuellen Beschluss, dass der Slogan "Migration tötet!" den Tatbestand nicht unbedingt erfüllt (Beschl. v. 20.12.2019, Az.: 23 Os 56/19).
"Stoppt die Invasion: Migration tötet! Widerstand – jetzt" – dieser Slogan war Teil der Wahlkampfkampagne der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) für die Europawahl im Mai 2019. An verschiedenen Orten wurden diese Plakate abgenommen, wogegen sich die NPD teilweise gewehrt hatte. Auch im Landkreis Potsdam-Mittelmark waren die Plakate von unterschiedlichen Polizeidirektionen entfernt worden.
Tatbestand der Volksverhetzung erfüllt?
Im September 2019 hatte die Staatsanwaltschaft Potsdam die Beschlagnahme der abgenommenen Plakate beantragt. Dies lehnte das Amtsgericht Potsdam (AG) jedoch ab (Beschl. v. 14.10.2019, Az.: 78 Gs 1208/19). Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft dagegen war nun ebenfalls erfolglos, das LG Potsdam bestätigte die Entscheidung des AG.
Das Gericht führte zur Begründung aus, dass die Voraussetzungen für eine Beschlagnahme nach §§ 94, 98 Strafprozessordnung (StPO) nicht erfüllt seien. Dafür müsse nämlich ein Anfangsverdacht vorliegen, an dem es hier gerade fehle. Die Staatsanwaltschaft hatte den Anfangsverdacht auf den Tatbestand der Volksverhetzung aus § 130 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB) gestützt. Dieser Ansicht folgte das LG aber nicht.
Der Slogan "Migration tötet!" könne so verstanden werden, dass er von der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Grundgesetz (GG) gedeckt sei. Der Tatbestand der Volksverhetzung sei verfassungskonform so auszulegen, dass nicht eine einzelne Auslegungsvariante, die strafrechtlich relevant ist, herangezogen werde. Vielmehr seien auch Möglichkeiten der Auslegung zu berücksichtigen, die sich im Rahmen der Meinungsfreiheit bewegen.
Die hier umstrittene Aussage könne beispielsweise als ein zulässiger "politischer Angriff auf die Mirgrationspolitik der Bundesregierung seit dem Jahr 2015" gesehen werden, entschied das Gericht. Gerade im Rahmen eines Wahlkampfes sei ein solches Verhalten nicht offensichtlich als Volksverhetzung einzuordnen. Damit schloss sich die Kammer unter anderem den Erwägungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Beschl. v. 24.5.2019, Az.: 1 BvQ 45/19) an.
Karlsruher Vorgaben
Im Mai 2019 hatte das BVerfG in einem vergleichbaren Fall über einen Eilantrag der NPD zu entscheiden. Im sächsischen Zittau waren die Wahlplakate der NPD mit dem besagten Slogan ebenfalls entfernt worden. Die NPD hatte sich daraufhin erfolglos mit einem Eilantrag an das Verwaltungsgericht Dresden (Beschl. v. 20.05.2019, Az. 6 K 385/19) gewandt und auch die Beschwerde vor dem Oberverwaltungsgericht Sachsen (Beschl v. 23.05.2019, Az.: 3 B 155/19) hatte keinen Erfolg. Schließlich hatte sich die NPD an das BVerfG gewandt. Sie wollte eine einstweilige Anordnung erwirken, mit der die Stadt verpflichtet werden sollte, die Plakate wieder aufzuhängen.
Das BVerfG lehnte diesen Eilantrag der NPD zwar ab, da es nur um drei einzelne Wahlplakate ging, die abgehängt worden waren. Dies sah das BVerfG nicht als besonders schweren Nachteil an. Allerdings äußerte das BVerfG Zweifel daran, dass die Aussage "Migration tötet!" eine Volksverhetzung darstellt. Die Einschätzung des zuvor entscheidenden Verwaltungsgerichts, der Slogan vermittle einem unbefangenen Betrachter den Eindruck, dass alle Ausländer oder Migranten in Deutschland potenzielle Straftäter von Tötungsdelikten seien, hielt das BVerfG für verfehlt. Der Satz wolle nur abstrakt auf vermeintliche Folgen der Migration hinweisen.
Das Gleiche gelte auch für die weitere Aussage des Wahlplakates "Widerstand jetzt", den das Verwaltungsgericht als Aufforderung an die Bevölkerung zum Widerstand einordnete. Diese Deutung ordnete das BVerfG im Kontext einer Wahlkampagne als nicht tragfähig ein.
"Unsachlich, geschmacklos sowie politisch unkorrekt"
Am Ende des Beschlusses distanzierte sich das LG Potsdam aber noch ausdrücklich von dem Inhalt der umstrittenen Wahlkampagne. Nachdem insbesondere ein Urteil des Verwaltungsgerichts Gießen auf viel Kritik gestoßen war, betonte die Kammer des LG Potsdam in ihrem Beschluss: "Dabei verkennt die Kammer nicht, dass eine solche Wahlkampagne wie die hiesige unsachlich, geschmacklos sowie politisch unkorrekt ist und von der Partei – wie das Amtsgerichts bereits ausgeführt hat – aller Voraussicht nach auch in dieser Form beabsichtigt gewesen ist."
ast/LTO-Redaktion
LG Potsdam zu NPD-Plakaten: . In: Legal Tribune Online, 06.01.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/39531 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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