Ein Rechtsstreit in Bayern erregt mehr als nur lokale Aufmerksamkeit. Über 55.000 Euro verlangt ein Arbeitsrechtler für die Ausarbeitung eines Geschäftsführervertrags. Der Anwalt rechnet dabei nicht etwa horrende Stundenhonorare ab, sondern setzt die gesetzlichen Gebühren an. Verkehrte Welt? Nun soll die Anwaltskammer helfen.
Viele Anwälte wären froh, wenn sie 290 Euro pro Stunde abrechnen könnten. Und ohne das Mandat zu kennen, würden die meisten Anwälte wohl lieber einen Stundensatz von 290 Euro abrechnen als die gesetzliche Gebühr nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG). Aber es kann auch ganz anders kommen – wenn der Mandant nur genug verdient. Eine halbe Million im Jahr dürfte dafür reichen.
Über diese stattliche Summe – und dazu noch einen Maserati Ghibili als Dienstwagen – darf sich ein Italiener freuen, der zum Geschäftsführer eines internationalen Ingenieursunternehmens berufen wurde. Vorab ließ er seinen Vertrag von einem Münchener Anwalt prüfen. Man vereinbarte, dass entweder gut 290 Euro pro Stunde anfallen sollten oder aber die doppelte gesetzliche Gebühr, sofern diese höher sei.
Das war sie wohl. Wie viele Stunden exakt gearbeitet wurden, ist zwar nicht bekannt, im inzwischen entbrannten Gebührenstreit jedenfalls nennt der neue Prozessvertreter des Geschäftsführers die Zahl zehn. Auf Stundenbasis wären das gut 2.900 Euro.
Tatsächlich berechnete der Anwalt aber die stolze Summe von 55.846,22 Euro. Sie setzte sich zusammen aus der 2,5-fachen Geschäfts-Gebühr, welche der Münchner wegen der angeblichen Komplexität der Sache von 1,3 ansetzte, und einer 1,5-er Einigungsgebühr, da einige Passagen im Vertrag von ihm modifiziert und vom Arbeitgeber so akzeptiert wurden.
"Das Gebührenrecht ist gelebter Kommunismus"
Das Landgericht München I, das über die Gebührenforderung zu entscheiden hat, will nun ein Gutachten bei der Anwaltskammer einholen, um klären zu lassen, ob diese Forderung noch angemessen ist (Az. 30 O 5751/14). Der frühere Anwalt sah sich unter Berufung auf das Mandatsgeheimnis nicht dazu in der Lage, sich gegenüber LTO näher zu äußern. Er erklärte aber, dass die bisherige Berichterstattung ungenau sei und er "in jeder Hinsicht und stets rechtmäßig" agiere.
Sein ehemaliger Mandant jedenfalls hat nicht vor, zu zahlen. Der neue Anwalt des Italieners erklärte, die Vereinbarung eines Stundenhonorars habe der Form nach im Vordergrund gestanden, obwohl angesichts des Einkommens seines Mandanten völlig klar gewesen sei, dass es auf die gesetzliche Gebühr hinauslaufen würde. Er bezweifelt auch die hohe Komplexität der Bearbeitung des Geschäftsführervertrags sowie die Anwendbarkeit einer Einigungsgebühr, da sich sein Mandant und dessen Arbeitgeber im Wesentlichen ohnehin bereits einig gewesen seien.
Doch so hoch die Summe wirkt, unangemessen ist sie nicht unbedingt. Dem RVG liegt eine Mischkalkulation zugrunde. "Das Gebührenrecht ist ein Stück gelebter Kommunismus", sagt der unter anderem auf anwaltliches Berufsrecht spezialisierte Prof. Dr. Volker Römermann, "die Reichen zahlen drauf, die Armen werden alimentiert." So komme es häufig vor, dass Anwälte Verfahren mit kläglich niedrigen Streitwerten übernehmen müssten, die umgerechnet einem Stundensatz von 20 Euro oder weniger entsprächen. "Natürlich könnte man das auch anders regeln und sagen: Die Stunde kostet pauschal immer 200 Euro. Das wäre für den Maseratifahrer günstig gewesen. Für die Kassiererin bei Lidl, die sich gegen ihre Kündigung wehren will, aber eher weniger." Gut möglich also, dass der Geschäftsführer die volle Summe wird bezahlen müssen, sofern die Anwaltskammer die Gebührenrechnung in ihrem Gutachten bestätigt. Immerhin: Er kann es sich wohl leisten.
Cvl/pl/LTO-Redaktion
Anwalts-Gebühren vor dem LG München I: . In: Legal Tribune Online, 31.10.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13672 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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