Merkt man erst nach neunstündiger Autofahrt, dass der Gerichtstermin kurzfristig aufgehoben wurde, ist das ärgerlich und teuer. Auf den Reisekosten lässt das LG München I einen Rechtsanwalt sitzen. Er sei außergewöhnlich früh losgefahren.
Von Lübeck nach München ist es weit, mit dem Auto satte 830 Kilometer und knapp neun Stunden Fahrtzeit. Muss ein Anwalt die Strecke wegen eines Termins zurücklegen, muss er früh los. Doch wie früh ist zu früh? Und welche Vorkehrungen muss er treffen, um während der Fahrt erreichbar zu sein? Mit diesen Fragen musste sich das Landgericht (LG) München I auseinandersetzen. Dort klagte ein Rechtsanwalt auf Erstattung seiner Reisekosten in Höhe von 1.000 Euro für einen vom Gericht am Vortrag aufgehobenen Termin. Jedoch ohne Erfolg: Die für das Amtshaftungsrecht zuständige 15. Zivilkammer hat die Klage abgewiesen (Az. 15 O 7223/23).
Alles begann im Januar 2020: Damals war der klagende Lübecker Rechtsanwalt von einem Mandanten beauftragt worden, am 12.01.2022 um 15:15 Uhr beim Arbeitsgericht München an einem Gütetermin teilzunehmen. Doch am Vortag des Termins hob das Gericht den Termin auf. Die zuständige Geschäftsstelle nutzte das elektronische Postfach (beA), um den Rechtsanwalt um 10:39 Uhr – also knapp 29 Stunden vor Terminsbeginn – über die Aufhebung zu informieren. Diese Benachrichtigung las der Rechtsanwalt jedoch zu spät. Erst vor den Toren Münchens in Türkenfeld, wo er die Übernachtung vor dem Gerichtstermin geplant hatte, blickte er frustriert in sein beA.
Nach eigenen Angaben hatte er sich am 11.01.2022 bereits um 9 Uhr – also gut 30 Stunden vor dem Termin – aus Lübeck Richtung München auf den Weg gemacht. Während der Autofahrt habe er sein elektronisches Postfach nicht kontrollieren können. Auch in seiner Kanzlei habe sich niemand aufgehalten, der das für ihn hätte tun können. Die Geschäftsstelle habe deshalb ihre Pflicht verletzt, ihn rechtzeitig über die Abladung in Kenntnis zu setzen, meinte der Rechtsanwalt und klagte auf Erstattung seiner Reisekosten.
LG hält Inlandsflug für naheliegend
Das LG München I sah dies anders: Der Rechtsanwalt habe die Reisekosten selbst schuldhaft verursacht. Die Mitarbeitenden der Geschäftsstelle des Arbeitsgerichts haben darauf vertrauen dürfen, dass der Rechtsanwalt sein beA-Postfach rechtzeitig checkt oder seine eigene Kanzlei ihn darüber informiert. Es sei nicht absehbar, "dass die Kanzlei des Klägervertreters in dieser Zeit gänzlich verwaist war und weder eine Kanzleikraft noch der Rechtsanwalt selbst (über einen mobilen Zugang) von eingehenden beA-Nachrichten Kenntnis erhält".
Das LG begründete seine Entscheidung auch mit der "außergewöhnlich frühen Abreise" des Anwalts, mit der niemand – also auch nicht die Geschäftsstelle des Arbeitsgerichts – habe rechnen müssen. "Auch wenn die Distanz Lübeck – München nahezu durch die gesamte Republik führt, war es bereits fernliegend anzunehmen, der Klägervertreter würde für einen Termin um 15.15 Uhr bereits am Vortag um 9.00 Uhr abreisen", so das LG deutlich.
Dabei zählte das Gericht die zu erwartenden Reiseoptionen dezidiert auf – und offenbarte ein Faible für Inlandsflüge: "Naheliegend wäre gewesen, dass der Klägervertreter eine Flugverbindung vom nahegelegenen Hamburg nach München am Termintag wählt." Sekundär hätte der Anwalt auch am Verhandlungstag morgens mit dem Zug fahren können, eine realistische und zumutbare Abfahrtszeit sei 7 Uhr gewesen. Auch bei einer Autofahrt "wäre nicht zu erwarten gewesen, dass der Klägervertreter am Morgen des Vortages aufbricht".
Reisetipps für Anwälte
Schließlich berücksichtigte die 15. Zivilkammer, dass der Anwalt im vorliegenden Fall mit einer Terminsaufhebung rechnen konnte. Denn das Arbeitsgericht hatte schon im Vorfeld Zweifel daran geäußert, dass Klageschrift und Terminladung wirksam zugestellt worden waren.
Weil der Mann aus diesen Gründen selbst die Schuld dafür trage, die gesamten 830 Kilometer hin- und zurückgefahren zu sein und in München übernachtet zu haben, liege eine Amtspflichtverletzung nicht vor und die Klage sei abzuweisen.
Die Aussage des Urteils ist klar: Wer schon am Vortag zum Termin aufbricht, muss "entweder seine Kanzlei so [...] organisieren, dass dort eingehende Nachrichten alsbald zur Kenntnis genommen werden", oder "technisch dafür sorgen [...], dass er selbst von Eingängen per beA zeitnah Kenntnis erhält." Neben der Klageabweisung enthält das Urteil also auch Reisetipps für Rechtsanwälte: Nicht zu früh losfahren und niemals das Postfach unbeaufsichtigt lassen – don't leave your beA unattended.
Rechtskräftig ist die Entscheidung noch nicht.
mw/mk/LTO-Redaktion
LG München I gibt Reisetipps für Rechtsanwälte: . In: Legal Tribune Online, 23.11.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53243 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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