Ein Ex-Staatsanwalt hat seinen Sohn sexuell missbraucht. Doch der Jurist behauptet, unter "Sexsomnia" zu leiden, also geschlafwandelt zu haben. Die Staatsanwaltschaft Kiel hielt das für plausibel, musste nun aber dennoch Anklage erheben.
Einem 52 Jahre alten ehemaligen Staatsanwalt aus Lübeck wird vorgeworfen, sich im Frühjahr 2019 an seinem leiblichen Kind sexuell vergangen zu haben. Damals war der Junge acht Jahre alt. Der Vater selbst hatte den Fall angezeigt. Zweifel, ob der Ex-Staatsanwalt seinen Sohn missbraucht hatte, bestanden demnach nie. Die Staatsanwaltschaft stufte auch die Aussagen des Sohnes als glaubhaft ein. Doch sie hielt es auch für plausibel, dass der Vater während des Missbrauchs unter einer sogenannten "Sexsomnia" litt. Nach einem Bericht des Spiegel stützt ein Gutachten die Vermutung vom schlafwandelnden Täter.
Die Schlafstörung "Sexsomnia" ist wissenschaftlich beschrieben. Danach ist der Betroffene scheinbar wach, kommt aber nicht zu Bewusstsein und kann sich nach dem Aufwachen an seine sexuellen Handlungen oft nicht mehr erinnern. Beim Schlafwandeln können Betroffene ihr Verhalten nicht bewusst steuern. Die Schlafstörung ist strafrechtlich eine "tiefgreifende Bewusstseinsstörung".
Wegen der fehlenden Steuerungsfähigkeit entfällt deshalb gemäß § 20 Strafgesetzbuch (StGB) die Schuldfähigkeit für Taten, die im unbewussten Zustand begangen wurden. Mit dieser Begründung stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren ein. Auch die Generalstaatsanwaltschaft sah nach einer Beschwerde des Opfers keinen hinreichenden Tatverdacht. Es sei nach Anhörung von Gutachtern nicht festzustellen gewesen, dass der Angeschuldigte sich seiner Tat bewusst gewesen sei.
Ein seltener Fall: OLG ordnet Anklage nach Klageerzwingungsverfahren an
Erst ein Klageerzwingungsverfahren vor dem Oberlandesgericht (OLG) Schleswig führte nun zur Anklage wegen des Verdachts des schweren sexuellen Missbrauchs. Das besondere daran: Ein solches Klageerzwingungsverfahrens hat in der Praxis fast nie Erfolg. Zum Beispiel gab es in den Jahren 2001 bis 2005 einer Kleinen Anfrage eines CDU-Abgeordneten an den Berliner Senat zufolge in Berlin keinen einzigen begründeten Antrag.
Das Verfahren, als Opfer eine Anklage der Staatsanwaltschaft zu erzwingen, ist in § 172 der Strafprozessordnung (StPO) geregelt. Es funktioniert dreistufig. Wenn die Staatsanwaltschaft nach einer Anzeige das Ermittlungsverfahren einstellt (erste Stufe), kann sich der Verletzte beim vorgesetzten Beamten der Staatsanwaltschaft förmlich beschweren. Das ist in der Regel der Generalstaatsanwalt. Sofern dieser im Rahmen der sogenannten Vorschaltbeschwerde dann einen ablehnenden Bescheid erteilt (zweite Stufe), kann der Verletzte als dritte Stufe einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung beim OLG stellen. Gegenstand des gesamten Verfahrens ist immer die Frage, ob ein hinreichender Tatverdacht vorliegt. Besteht eine überwiegende Wahrscheinlichkeit, dass der Beschuldigte verurteilt wird?
Vorgetäuschte Sexsomnia?
Anders als die Staatsanwaltschaft hat das OLG Schleswig die überwiegende Verurteilungswahrscheinlichkeit bejaht, wie zuerst der Spiegel berichtete. Im Fall des Ex-Staatsanwalts gäbe es Hinweise, dass der Beschuldigte die "Sexsomnia" nur vortäuschte. In der Meldung an seinen Arbeitgeber hatte der Ex-Staatsanwalt die Amnesie noch mit zu viel Alkohol erklärt. Ein späteres Gutachten relativierte die Plausibilität der Schlafstörung und die Ex-Frau konnte sich nicht an sexuelle Handlungen im Schlaf erinnern.
Eine Entscheidung des Lübecker Landgerichts über die Eröffnung der Hauptverhandlung steht noch aus, ist aber wegen des erfolgreichen Klageerzwingungsverfahrens vor dem OLG sehr wahrscheinlich. Die Frage der Schuldfähigkeit des Beschuldigten würde dann in der Hauptverhandlung abschließend beurteilt werden müssen.
mit Materialen von dpa
Anklage gegen Ex-Staatsanwalt wegen sexuellem Missbrauch: . In: Legal Tribune Online, 10.08.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52458 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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