"FragDenStaat" gewinnt vorm LG Köln: Gly­phosat-Gut­achten darf ver­öf­f­ent­licht werden

von Alexander Cremer

12.11.2020

Mit dem Urheberrecht gegen unliebsame Presseveröffentlichungen vorgehen? Das geht nicht, findet das LG Köln – und gab dem Online-Portal FragDenStaat im Streit um die Veröffentlichung eines Glyphosat-Gutachtens Recht.

Im Streit zwischen dem Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) und dem Online-Portal FragDenStaat um die Veröffentlichung eines Gutachtens über die Gesundheitsrisiken des Pflanzenschutzmittels Glyphosat hat das Landgericht (LG) Köln eine Unterlassungsklage des Bundesinstituts abgewiesen (Urt. v. 12.11.2020, Az. 14 O 163/19). Die Internetplattform, die u. a. strategische Prozessführung betreibt und über die Anfragen nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) gestellt werden können, habe bei der Veröffentlichung des Gutachtens nicht rechtswidrig gehandelt, so das Gericht.

Hintergrund des Streits ist eine Stellungnahme des BfR, das dem Bundeslandwirtschaftsministerium untersteht, zu einer Arbeit der Internationalen Agentur für Krebsforschung (englisch IARC). Die war zu dem Ergebnis gekommen, dass Glyphosat "wahrscheinlich krebserregend für den Menschen" sei. Die 2011 gegründete Informationsplattform FragDenStaat, die zur Open Knowledge Foundation Deutschland gehört, hatte das Gutachten vom BfR angefordert und auch erhalten. Anliegend zu dem Dokument fanden sich aber "generelle Hinweise zum Urheberrecht", nach denen die Übermittlung ausschließlich zum persönlichen Gebrauch erfolge und die Veröffentlichung ohne schriftliches Einverständnis nicht erlaubt sei.

Das Online-Portal veröffentlichte das Gutachten aber trotzdem. Das BfR mahnte das Portal daraufhin über die Berliner Dependance der Kanzlei Gleiss Lutz ab. Dagegen wehrte sich das Portal zunächst mit einer Feststellungsklage, die klären sollte, ob das Gutachten veröffentlicht werden durfte. Dann zog auch das Bundesinstitut vor Gericht. FragdenStaat  nahm die eigene Klage daraufhin zurück.

Eine hart umkämpfte Veröffentlichung

Vor dem LG Köln beantragte die Behörde Eilrechtsschutz gegen die Veröffentlichung und berief sich auf ihr Urheberrecht an dem Gutachten - mit Erfolg. Das LG Verbot die Veröffentlichung per einstweiliger Verfügung. Weil Gleiss Lutz die einstweilige Verfügung aber nicht formfehlerfrei zustellte, war das Gutachten wenig später aber wieder online

Das BfR erließ kurz darauf eine Allgemeinverfügung, aufgrund derer Personen, die einen Antrag auf Informationszugang nach § 7 Abs. 1 S. 1 Informationsfreiheitsgesetz (IFG) zu dem Gutachten stellten, ein sieben-tägiger Lesezugang auf einer eigens eingerichteten Internetseite gewährt wurde. Die Beantwortung der Anträge sowie die Übermittlung des Lesezugangs erfolge seitens des BfR automatisch. FragDenStaat richtete daraufhin ein automatisiertes Anfrage-Tool auf seiner Homepage ein, mit dessen Hilfe nach eigenen Angaben mehr als 45.000 Menschen einen Antrag auf Zugang zu dem Gutachten stellten und auch bekamen.

Am Donnerstag wies das LG schließlich die Unterlassungsklage des BfR im Hauptsacheverfahren ab. Laut Gericht hat das Onlinne-Portal bei der Veröffentlichung des Gutachtens nicht rechtswidrig gehandelt. Zugunsten der Plattform greife die Schranke des Zitatrechts aus § 51 UrhG ein. Das Gutachten sei mit Antragsgewährung im Rahmen des Verfahrens nach §§ 1 ff IFG veröffentlicht im Sinne des § 12 UrhG, hieß es. Außerdem sei es spätestens mit Veröffentlichung der Allgemeinverfügung als amtliches Werk im Sinne des § 5 Abs. 2 UrhG zu qualifizieren, so das Gericht. 

BfR prüft Berufung

Das LG bezog sich in seiner Entscheidung auch auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) zu den sogenannten "Afghanistan-Papieren", bei dem es um die Veröffentlichung von Bundeswehrdokumenten durch die Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ) ging. In dem Fall entschied das Karlsruher Gericht im April dieses Jahres, dass das Urheberrecht nicht dazu gedacht sei, staatliche Geheimhaltungsinteressen zu erfüllen. Zuvor hatte auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden, dass sich der Staat nicht auf das Urheberrecht berufen kann. Kritiker sprachen in diesem Kontext vom "Zensurheberrecht".

Arne Semsrott, Projektleiter von FragDenStaat, zeigte sich erfreut über die Entscheidung: "Das Urteil ist über den Einzelfall hinaus wegweisend." Er betonte, dass das LG bereits von einer Veröffentlichung ausgehe, wenn der Antrag nach dem IFG positiv beschieden wird. Prof. Dr. Andreas Hensel, Präsident des BfR, sieht das Urteil dagegen kritisch. "Aus Sicht des BfR sind wesentliche Fragen des Urheberrechts nicht geklärt", so Hensel. Man prüfe nun, beim Oberlandesgericht Köln in Berufung zu gehen.

Zitiervorschlag

"FragDenStaat" gewinnt vorm LG Köln: . In: Legal Tribune Online, 12.11.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43414 (abgerufen am: 17.11.2024 )

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