Zivilprozess in Hamburg gegen Böhmermann beginnt: Erdogan "als Pro­totyp des ver­lausten Türken gezeigt"?

02.11.2016

Das Strafverfahren gegen Jan Böhmermann ist gerade erst eingestellt worden. Nun geht es dem türkischen Präsidenten darum, die Verbreitung von Böhmermanns Gedicht zu stoppen. Am Mittwoch begann die Verhandlung in Hamburg.

Die Affäre um das Gedicht "Schmähkritik" von Jan Böhmermann geht weiter. Am Mittwoch begann vor dem Landgericht (LG) Hamburg der Zivilprozess des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan gegen den Komiker.

Erdogan will dort die Verbreitung des Gedichtstextes, den Böhmermann in der "Neo Magazin Royale"-Sendung am 31. März vorgetragen hatte, verbieten lassen. Zum Prozessauftakt lieferten sich die Anwälte beider Seiten einen engagierten Schlagabtausch. Die Vorsitzende Richterin der Pressekammer Simone Käfer gab noch keinen Hinweis, in welche Richtung das Gericht tendiert. Das Urteil soll am 10. Februar 2017 verkündet werden.

Böhmermanns Anwalt Christian Schertz verwies in der Verhandlung auf die Entscheidung der Staatsanwaltschaft Mainz, welche die strafrechtlichen Ermittlungen gegen Böhmermann Anfang Oktober eingestellt hatte. Die Staatsanwaltschaft habe den Tatbestand der Beleidigung verneint, sagte Schertz. Auch die Generalstaatsanwaltschaft Koblenz habe sich dem angeschlossen.

Michael-Hubertus von Sprenger, der den türkischen Präsidenten vertritt, wendete dagegen sein, die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft seien nur aufgrund fehlenden Vorsatzes eingestellt worden. Dies stehe im Zivilprozess aber nicht zur Debatte, wo es darum gehe, ob das Gedicht eine Schmähung enthalte.

Böhmermanns Gedicht wieder auf dem Prüfstand

Tatsächlich ist der Prozess auch insofern interessant, als das Hamburger Gericht sich neu mit der Frage des Vorrangs von Kunst- und Meinungsfreiheit vor dem Persönlichkeitsrecht Erdogans wird auseinandersetzen müssen. Einer abschließenden Bewertung dahingehend hatte sich die Mainzer Staatsanwaltschaft noch enthalten.

Im einstweiligen Rechtsschutzverfahren hatte das Gericht per einstweiliger Verfügung die Verbreitung eines Großteils des Gedichtstextes untersagt. Die Richter bezeichneten in dem Beschluss weite Teile als schmähend und ehrverletzend. Böhmermann-Anwalt Schertz hatte die Entscheidung kritisiert, weil bestimmte Passagen solitär herausgegriffen worden seien, und das Hauptsacheverfahren erzwungen.

Während in dem Rechtsschutzverfahren im Mai nur eine summarische Prüfung vorgenommen wurde, wird sich das LG nun noch einmal eingehend mit dem Inhalt befassen. So appellierte Schertz auch diesmal, das Gedicht in seinem zeitgeschichtlichen Kontext zu würdigen, auch vor dem Hintergrund der jüngsten Verhaftungen von Journalisten in der Türkei: "Wenn sich jemand so geriert, dann muss er sich die schärfste Kritik ever gefallen lassen".

Erdogan-Anwalt kritisiert Ermittlungsbehörden

Seinem Mandanten sei es darum gegangen, die Grenzen von Kunst- und Meinungsfreiheit in Deutschland in satirischer Form aufzuzeigen. Zudem wolle er die "Gesamtperformance" berücksichtigt wissen.

Erdogan-Anwalt Sprenger bezeichnete das Gedicht als von der Kunst- und Meinungsfreiheit nicht gedeckt: "Hier wird nur noch plump beleidigt, unterhalb der Gürtellinie". Erdogan solle "als Prototyp des verlausten Türken gezeigt werden. Das ist schlicht rassistisch", so Sprenger. Dies stehe der Achtung der Menschenwürde seines Mandanten entgegen, die "nicht verhandelbar" sei.

Zudem bezichtigte er die Ermittlungsbehörden in Rheinland-Pfalz, das dortige Verfahren bewusst und in Absprache mit Böhmermanns Anwälten verschleppt zu haben. Dadurch habe er kaum Zeit zur Einleitung eines Klageerzwingungsverfahrens gehabt. Im Bereich Presse und Rundfunk gilt eine Strafverfolgungsverjährung von sechs Monaten. Schertz, der Böhmermann auch im Strafverfahren vertreten hatte, wies die Vorwürfe zurück.

dpa/mam/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

Zivilprozess in Hamburg gegen Böhmermann beginnt: . In: Legal Tribune Online, 02.11.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21040 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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