Erste Vorlage im Dieselskandal: LG Gera ruft den EuGH an

von Pia Lorenz

05.09.2019

Kann ein Autokäufer sich auf die sog. Übereinstimmungsbescheinigung berufen, um sein vom Abgasskandal betroffenes Fahrzeug wieder zurückzugeben? Das LG Gera legt dem EuGH gleich mehrere Fragen vor. VW hält keine davon für relevant.

Das Landgericht (LG) Gera will vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) wissen, ob geprellte Autokäufer sich darauf berufen können, dass das gekaufte, mit einer unzulässigen Abschaltvorrichtung versehene Fahrzeug nie die europarechtlichen Genehmigungsvoraussetzungen erfüllt hat, also im Straßenverkehr womöglich gar nicht uneingeschränkt zugelassen ist.

Konkret fragt das LG Gera in dem Beschluss, der LTO vorliegt, ob die EU-Vorschriften zur sog. Übereinstimmungsbescheinigung für Autos auch dem Schutz des Endkunden, vor allem also dem des geprellten Autokäufers dienen (Beschl. v. 30.08.2019, Az. 7 O 1188/18).  Da es über die Rückabwicklung eines Gebrauchtwagenkaufs zu entscheiden hat, will es zudem wissen, ob das auch auf diesen durchschlagen könnte.

Damit legt das erste deutsche Gericht Fragen zum Abgasskandal dem EuGH vor. Andere Gerichte halten diese Aspekte bisher nicht für entscheidungserheblich. Die Volkswagen AG zeigte sich gegenüber LTO von der Vorlage des LG Gera wenig angetan. Sie sei verfrüht und verhindere letztlich eine sachgerechte Aufbereitung der Thematik durch den Bundesgerichtshof, so ein Sprecher gegenüber LTO.

Was erklärt eine Übereinstimmungsbescheinigung?

Aus Sicht des LG Gera ist der Drittschutzcharakter der Vorschriften zur Übereinstimmungsbescheinigung  aber entscheidungserheblich für die Frage, ob die beklagte VW AG einen Normverstoß begangen hat. Ein solcher wäre Voraussetzung für eine deliktische Haftung des Autobauers, der auf Rückzahlung des Kaufpreises für einen Pkw mit unzulässiger Abschalteinrichtung in Anspruch genommen wird. Die Frage lautet also: Hat VW durch Ausstellung einer ungültigen Übereinstimmungsbescheinigung gegen EU-Recht verstoßen, das auch den Käufer des Autos schützen soll?

Schon die Frage, was genau eigentlich Inhalt und Erklärungsgehalt der sog. Übereinstimmungsbescheinigung nach §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. der EG-Fahrzeuggenehmigungsverordnung (EG-FGV) sind, ist umstritten. Nach § 27 Abs. 1 S. 1 EG-FGV dürfen neue Fahrzeuge, die im Straßenverkehr verwendet werden sollen, im Inland nur angeboten werden, wenn sie mit einer solchen gültigen Erklärung versehen sind. Nach § 6 Abs. 1 der Verordnung hat der Inhaber einer EG-Typgenehmigung für jedes dem genehmigten Typ entsprechende Fahrzeug eine Übereinstimmungsbescheinigung auszustellen.

Auf diese Vorschriften berufen sich seit längerem viele Geschädigte im Dieselskandal, um ihre Verträge rückabwickeln zu können. Ihre Argumentation: Weil die Fahrzeuge mit den unzulässigen Abschalteinrichtungen bei ihrer Herstellung nicht den rechtlichen Vorgaben entsprochen hätten, sei die ausgestellte Bescheinigung ungültig.  

Dem Kraftfahrtbundesamt (KBA) sowie einigen Gerichten reicht es hingegen, wenn diese Bescheinigung, ohne die kein Pkw im EU-Raum veräußert werden darf, vom richtigen Hersteller ausgestellt und dem genehmigten Typ zugeordnet wird. Bei dieser Auslegung könnte auch ein Pkw mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung eine gültige Übereinstimmungsbescheinigung haben.

Andere - und mit ihnen nun das LG Gera - sehen in der Bescheinigung mehr: Sie erkläre, dass das Fahrzeug allen einschlägigen, in der Union geltenden Rechtsvorschriften genügt. Eine unzulässige Abschalteinrichtung mache die Bescheinigung also unrichtig und damit möglicherweise ungültig, was wiederum einen Verstoß gegen § 27 EG-FGV bedeute, wenn das Auto in den Verkehr gebracht wird. Damit gehe ebenso ein Verstoß gegen die Pflicht des Herstellers, eine gültige Bescheinigung auszustellen.

Und ist das nun entscheidungserheblich oder nicht?

Wer der Übereinstimmungsbescheinigung eine solche inhaltliche Aussagekraft zumisst, muss sich aus Sicht des VG Gera dann in der Folge die Frage stellen, die das Gericht nun vom EuGH beantwortet haben will: Schützen die Vorschriften über die Übereinstimmungsbescheinigung den Endkunden - und zwar auch seine Dispositionsfreiheit und sein Vermögen? Will die Norm gerade solche Gefahren abwenden, die sich im Kauf eines Fahrzeugs mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung realisieren?

Aus Sicht von VW kommt es auf diese Fragen dagegen nicht an. Es liege schon gar kein Verstoß vor, weil die Bescheinigung gültig sei, sagte ein Sprecher gegenüber LTO. So hätten auch alle mit den Diesel-Fällen bislang befassten Verwaltungsgerichte wie auch Oberlandesgerichte einhellig entschieden.

Das Unternehmen weist auch auf einen aktuellen Beschluss des Oberlandesgerichts (OLG) München hin, welches eine Vorlage an den EuGH für unnötig hält: Die Münchner Richter verneinen selbst, aufgrund nationalen Rechts, den Schutzgesetzcharakter der §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV: Die Normen sollten die Allgemeinheit schützen, nicht den einzelnen Autokäufer. Der ist aus Sicht des OLG hinreichend über das Kauf- und Deliktsrecht geschützt (Urt. v. 29.08.2019, Az. 8 U 1449/19).

Nutzungsentschädigung auch bei Täuschung?

VW hält die Vorlage zudem für verfrüht: Zur Vorlage an den EuGH sei der Bundesgerichtshof als letzte Instanz in Zivilsachen berufen und verpflichtet - zumal der sich mit den nun vom LG Gera aufgeworfenen Fragen bereits befasse (Anm. d. Red.: Az. VIII ZR 61/19), so der Sprecher gegenüber LTO. "Eine verfrühte Vorlage birgt das Risiko wiederholter Vorlagen unterschiedlicher Fragen durch verschiedene Instanzen, deren Beantwortung für die Entscheidung des konkreten Falls schlussendlich keine Rolle spielt".  Tatsächlich haben jedoch auch die Instanzgerichte ein Vorlagerecht, in bestimmten Fällen sogar eine Vorlagepflicht an den EuGH.

Gern durch Vorlage nach Luxemburg geklärt sähe VW indes nach Angaben seines Sprechers eine andere Rechtsfrage. Auch diese hat das LG Gera den Richtern in Luxemburg nun schon gestellt: Wenn ein Hersteller "zu dem Zweck der Kostensenkung und Gewinnmaximierung durch hohe Absatzzahlen unter gleichzeitiger Verschaffung eines Wettbewerbsvorteils auf Kosten der ahnungslosen Kunden" gegen seine europarechtlichen Pflichten verstoße und seine Kunden täusche - könnte das dann dazu führen, dass der getäuschte Kunde bei Rückabwicklung des Kaufvertrags keine Nutzungsentschädigung zahlen muss für die Zeit, in der er das Auto fuhr?

Die Kürzung oder der Entfall von Nutzungsentschädigung widerspreche der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, sagte der Sprecher dazu gegenüber LTO. Allerdings gibt es derzeit - abgesehen von einem Hinweisbeschluss, der eher weniger zugunsten von VW ausfiel - auch noch gar keine Rechtsprechung aus Karlsruhe zum Abgasskandal. Jedenfalls aber würde eine Vorlage auch dieser Frage aus Karlsruhe nach Luxemburg dem Konzern bis dahin bringen, was ihm am meisten hilft: Zeit. Schließlich muss VW umso weniger zahlen, je mehr Nutzungsentschädigung der rückabwickelnde Käufer im Gegenzug am Ende eines Prozesses schuldet. Angesichts tausender laufender Verfahren bringt dem Autobauer jeder Tag bares Geld.

Zitiervorschlag

Erste Vorlage im Dieselskandal: . In: Legal Tribune Online, 05.09.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/37465 (abgerufen am: 21.11.2024 )

Infos zum Zitiervorschlag
Jetzt Pushnachrichten aktivieren

Pushverwaltung

Sie haben die Pushnachrichten abonniert.
Durch zusätzliche Filter können Sie Ihr Pushabo einschränken.

Filter öffnen
Rubriken
oder
Rechtsgebiete
Abbestellen