Fünfeinhalb Jahre arbeitete eine "Praktikantin" 43 Stunden die Woche für 300 Euro monatlich bei einem Finanzdienstleister. Das entspricht einem Stundenlohn von etwa 1,62 Euro. Nun erhält sie eine dem Mindestlohn angepasste Nachzahlung.
Das Landesarbeitsgericht (LAG) München hat entschieden, dass ein Münchener Versicherungs- und Finanzvermittler fast 50.000 Euro an eine ursprünglich als Praktikantin eingestellte Arbeitnehmerin zahlen muss (Urt. v. 13.06.2016, Az. 3 Sa 23/16).
Die Parteien hatten im September 2009 unter der Überschrift "Praktikumsvertrag" einen Vertrag geschlossen. Darin wurde eine Tätigkeit von 43 Stunden die Woche mit einer monatlichen Vergütung von 300 Euro vereinbart. Auf Grundlage des Vertrages war die junge Frau bis zum März 2015 bei dem Arbeitgeber tätig.
Ursprünglich war ein Praktikum für die Ausbildung zur Finanzfachwirtin vereinbart gewesen. Die Ausbildung habe aber nach Angaben der Frau nur an Montagabenden und gelegentlich an Samstagen stattgefunden. In der übrigen Zeit habe sie Arbeitsleistung erbracht, die als solche zu bezahlen sei. Der vereinbarte Stundenlohn von 1,62 Euro sei sittenwidrig und damit nichtig. Ihr Arbeitgeber schulde ihr daher eine Vergütung von 8,50 Euro pro Stunde. Der Arbeitgeber wendete dagegen ein, dass die Leistungen der Frau unterdurchschnittlich waren und eine Ausbildung deshalb auch Samstag und Montagabend hätte erfolgen müssen.
"Praktikumsvertrag" diente keinem Praktikumszweck
Das LAG hat nun, wie bereits zuvor das Arbeitsgericht, festgestellt, dass zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis bestand. Eine Ausbildung der Frau fand ganz überwiegend nicht statt. Vielmehr habe die Frau wie andere Arbeitnehmer Arbeitsleistungen erbracht, die auch als solche zu vergüten seien. Daran ändere die unzutreffende Bezeichnung als "Praktikumsvertrag" nicht. Die tatsächliche Durchführung des Vertrages habe nicht dem Praktikumszweck gedient. Für die über fünf Jahre lange Beschäftigungsdauer muss das Unternehmen nun fast 50.000 Euro an Vergütung, Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen nachzahlen.
Ein ähnlicher Fall machte bereits 2014 Schlagzeilen: Eine junge Frau arbeitete acht Monate lang unentgeltlich als Praktikantin in einem Rewe-Markt. Sie klagte auf nachträgliche Bezahlung, das ArbG sprach ihr gut 17.000 Euro zu. Das LAG Hamm hatte die Entscheidung allerdings wieder aufgehoben.
acr/LTO-Redaktion
LAG München geht von Arbeitsverhältnis aus: . In: Legal Tribune Online, 14.06.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19658 (abgerufen am: 19.11.2024 )
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