Das LAG Berlin hat einer Muslimin eine Entschädigung zugesprochen, weil ihre Bewerbung auf einen Lehrerposten wegen ihres Kopftuchs abgelehnt worden war. Ist das auch der Anfang vom Ende des Neutralitätsgesetzes?
Das Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg hat einer Lehrerin eine Entschädigung in Höhe von 8.680 Euro zugesprochen (Urt. v. 09.02.2016, Az. 14 Sa 1038/16). Sie hatte sich mit muslimischem Kopftuch um eine Stelle als Grundschullehrerin beim Land Berlin beworben, ihre Bewerbung wurde nach ihrer Erklärung, sie wolle das Kopftuch auch im Unterricht tragen, abgelehnt.
Das Gericht sieht in der Ablehnung der Bewerbung im Zusammenhang mit dem muslimischen Kopftuch eine Benachteiligung der Muslima im Sinne von § 7 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG). Das Berliner Neutralitätsgesetz müsse im Hinblick auf die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts ausgelegt werden. Karlsruhe hatte entschieden, dass ein pauschales Kopftuchverbot für Lehrerinnen in öffentlichen Schulen nicht mit der Verfassung vereinbar ist. Allein vom Tragen eines Kopftuchs gehe keine Gefahr aus.
Eine konkrete Gefährdung durch die Bewerberin mache aber das Land Berlin nicht geltend, so das LAG am Donnerstag. Wegen der erheblichen Bedeutung der Glaubensfreiheit hält es ein generelles Verbot eines muslimischen Kopftuchs ohne konkrete Gefährdung für nicht zulässig.
Zwei Monatsgehälter Entschädigung, Revision zugelassen
Zuvor hatte Richterin Schaude in der Verhandlung noch Zweifel geäußert, ob das Berliner Neutralitätsgesetz verfassungsgemäß ist. Es schreibt vor, dass Polizisten, Lehrer und Justizmitarbeiter im Dienst keine religiös geprägten Kleidungsstücke tragen dürfen. Auch die Vorinstanz hatte das noch anders gesehen: Das Berliner Arbeitsgericht hatte im vergangenen Jahr entschieden, dass das Land die Bewerbung der Lehrerin ablehnen durfte. Sie sei nicht benachteiligt, da das Neutralitätsgesetz alle Religionen gleich behandelt
Das Berliner Neutralitätsgesetz sei aber noch verfassungskonform auszulegen, so das LAG am Dienstag. Die Berufungsrichter haben nun unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls eine Entschädigung in Höhe von zwei Monatsgehältern der Lehrerstelle festgesetzt, das entspricht 8.680 Euro. Die Revision zum Bundesarbeitsgericht wurde zugelassen.
Die ausgebildete Bewerberin hätte die Möglichkeit gehabt, mit Kopftuch an einer berufsbildenden Schule zu unterrichten, wo das Kopftuchverbot nicht gilt. Die Schulverwaltung hatte der Bewerberin erneut einen Arbeitsvertrag zu gleichen Konditionen wie für alle angeboten: "Jede Lehrkraft kann an einer Schule eingesetzt werden, die ihr zugewiesen wird", so Stoffers. Dies hatte Kläger-Anwältin Maryam Haschemi Yekani für ihre Mandantin abgelehnt - ebenso das Angebot der Verwaltung, eine Perücke anstelle des Kopftuchs zu tragen, um so eingestellt zu werden.
Der Anfang vom Ende des Neutralitätsgesetzes?
Die Klägerin war aus gesundheitlichen Gründen nicht zu dem Prozess gekommen. Anwältin Yekani zeigte sich nach dem Urteil "sehr erleichtert". Sie habe nicht mit einem solchen Ausgang gerechnet. Sie hoffe, dass das Neutralitätsgesetz nun auf den Prüfstand komme. Sowohl der neue Kultursenator Klaus Lederer (Linke) als auch die Grünen hätten das angekündigt.Das Antidiskriminierungsnetzwerk des Türkischen Bundes forderte ebenfalls eine Anpassung des Gesetzes. In der jetzigen Fassung verschärfe es antimuslimische Tendenzen.
Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) begrüßte das Urteil. "Das ist ein guter Tag für die Antidiskriminierung in Berlin", sagte er der Deutschen Presse-Agentur (dpa). "Das Urteil ist der Anfang vom Ende des Neutralitätsgesetzes." Die rot-rot-grüne Koalition werde darüber nun Gespräche führen. "Ich will den Beratungen nicht vorgreifen, gehe aber davon aus, dass das Berliner Neutralitätsgesetz nicht mehr zu halten sein wird."
Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) sagte dagegen, das Gesetz habe sich an den Berliner Schulen bewährt. "Ich sehe momentan keinen Anlass, daran etwas zu ändern." Für die Berliner Innenverwaltung hatte deren Sprecher Martin Pallgen der dpa vor dem Prozess gesagt: "Es gilt das Berliner Neutralitätsgesetz. Wir sehen keine Notwendigkeit, das zu ändern."
Die stellvertretende Landesvorsitzende der Linken, Sandra Brunner, meinte, die Gerichtsentscheidung sollte Anlass für die Koalition sein, das Gesetz auf den Prüfstand zu stellen. Rot-Rot-Grün habe sich im Koalitionsvertrag dem Kampf gegen Diskriminierung verpflichtet.
acr/pl/LTO-Redaktion
Mit Materialien von dpa
LAG Berlin gibt muslimischer Lehrerin Recht: . In: Legal Tribune Online, 09.02.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22055 (abgerufen am: 01.11.2024 )
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