Die Auslieferung in die USA ist vom Tisch: Im Zuge eines Deals kommt Julian Assange frei, schon in wenigen Tagen dürfte er in seine australische Heimat zurückkehren. Was Dienstagnacht passiert ist und die Hintergründe zum Fall, lesen Sie hier.
Julian Assange hat im jahrelangen Streit um seine Auslieferung einen Deal mit den USA geschlossen und kommt auf freien Fuß. Der Gründer der Enthüllungsplattform Wikileaks soll sich vor einem US-Gericht wegen Spionage schuldig bekennen und zu mehr als fünf Jahren Haft verurteilt werden. Das entspricht der Zeitspanne, die der Whistleblower in London bereits in einem Hochsicherheitsgefängnis saß.
Im Gegenzug bleibt dem 52-Jährigen eine weitere Haft in den USA erspart, die bisher seine Auslieferung verlangt hatten. Stattdessen soll Assange umgehend freigelassen werden und dann in seine Heimat Australien reisen. Das geht aus US-Gerichtsdokumenten hervor. Seine Ehefrau bestätigte diesen Deal. Ihr Ehemann werde sich in einem Anklagepunkt im Zusammenhang mit dem US-Spionagegesetz schuldig bekennen, sagte Stella Assange am Dienstag der BBC.
Nach fünf Jahren Haft in London kam Assange nun nach Angaben von Wikileaks – unbemerkt von der Öffentlichkeit – aus dem Gefängnis frei und reiste aus Großbritannien aus. Das Portal veröffentlichte in der Nacht zum Dienstag ein Video, das zeigen soll, wie der 52-Jährige am Montag am Londoner Flughafen Stansted ein Flugzeug besteigt.
Der Deal mit den USA
Assange handelte mit dem US-Justizministerium eine Vereinbarung aus, wonach er sich in dem Spionageskandal teils schuldig bekennen will und ihm im Gegenzug eine weitere Haft in den USA erspart bleibt. Die Gerichtsdokumente, aus denen das hervorgeht, wurden am Montagabend US-Ostküstenzeit veröffentlicht. Ein Gericht muss die Einigung allerdings noch absegnen. Assange soll dazu bereits an diesem Mittwoch (Ortszeit) vor einem Gericht in einem entlegenen US-Außengebiet erscheinen: auf den Marianeninseln.
Die Inselgruppe liegt im Westpazifik, nördlich von Assanges Heimat Australien, und steht unter Hoheitsgewalt der USA. In einem Brief des US-Justizministeriums heißt es, der Ort sei gewählt worden, da Assange nicht in die Vereinigten Staaten habe reisen wollen und die Inselgruppe nahe an Australien liege. Es werde erwartet, dass sich Assange bei dem Gerichtstermin am Mittwoch der Verschwörung zur unrechtmäßigen Beschaffung und Verbreitung von geheimen Unterlagen schuldig bekennen werde. Im Anschluss solle er nach Australien weiterreisen. US-Medien zufolge soll Assange zu gut fünf Jahren Haft verurteilt werden, die er aber bereits in Großbritannien verbüßt hat. Demnach wäre er in Kürze ein freier Mann.
Die Vorwürfe gegen Assange
Die USA hatten bisher Assanges Auslieferung verlangt. Sie werfen ihm vor, mit der Whistleblowerin Chelsea Manning geheimes Material von Militäreinsätzen im Irak und in Afghanistan gestohlen, veröffentlicht und damit das Leben von US-Informanten in Gefahr gebracht zu haben. Assanges Unterstützer sehen ihn hingegen wegen des Aufdeckens von US-Kriegsverbrechen zu Unrecht im Visier der Justiz aus Washington. Bei einer Verurteilung ohne entsprechenden Deal könnten Assange wegen Spionage bis zu 175 Jahre Haft drohen.
Wikileaks schrieb auf X, es habe lange Verhandlungen mit dem US-Justizministerium gegeben. Die erreichte Einigung sei noch nicht finalisiert. Nach mehr als fünf Jahren "in einer zwei mal drei Meter großen Zelle, in der er 23 Stunden am Tag isoliert war", werde Assange aber bald wieder mit seiner Frau Stella Assange und den beiden gemeinsamen Kindern vereint werden,"die ihren Vater bislang nur hinter Gittern kennen".
Die Odyssee des Wikileaks-Gründers
Assange hatte vor etwa fünf Jahren seine Haft im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh in London angetreten. Vor seiner Festnahme im April 2019 hatte er sich sieben Jahre in der ecuadorianischen Botschaft in London dem Zugriff der Strafverfolgungsbehörden entzogen. Diese hatten ihn zunächst wegen Vergewaltigungsvorwürfen in Schweden ins Visier genommen. Diese Anschuldigungen wurden später jedoch fallen gelassen. Menschenrechtsorganisationen, Journalistenverbände, Künstler und Politiker fordern seit langem Assanges sofortige Freilassung. Im LTO-Interview wies der UNO-Sonderberichterstatter für Folter, Prof. Nils Melzer, 2021 auf "typische Symptome für Folter" bei Assange hin.
Auch die australische Regierung hatte sich für die Freilassung ihres Staatsbürgers eingesetzt. US-Präsident Joe Biden weckte kürzlich etwas Hoffnung in diese Richtung. Er sagte auf die Frage, ob die USA ein australisches Ersuchen prüfen wollten, die Strafverfolgung gegen Assange einzustellen: "Wir erwägen das." Es gab also zwar Anzeichen für eine mögliche politische Lösung, das Timing dafür überraschte nun jedoch.
Assange hatte zuletzt in Großbritannien Berufung gegen seine Auslieferung in die USA eingelegt. Eigentlich sollte darüber im Juli vor dem High Court in London verhandelt werden. Dieser hatte einem entsprechenden Antrag Assanges im Mai teilweise stattgegeben und damit eine unmittelbare Überstellung des 52-Jährigen an die USA abgewendet.
Die "neue Phase der Freiheit"
Stella Assange rief Unterstützer zu Hilfe für ihren Mann nach seiner Freilassung auf. "Wir beabsichtigen, einen Notfallfonds einzurichten für Julians Gesundheit und Genesung", sagte sie in einem Videoclip, der in der Nacht zum Dienstag auf Youtube veröffentlicht wurde. Assanges Team hatte zuletzt wiederholt gewarnt, der Gesundheitszustand des Wikileaks-Gründers sei schlecht. An Gerichtsterminen nahm er deshalb nicht persönlich teil.
"Ich bitte Euch, wenn Ihr könnt, einen Beitrag zu leisten und uns beim Übergang in diese neue Phase der Freiheit von Julian zu helfen", sagte Stella Assange weiter. Das Video wurde den Angaben zufolge am 19. Juni aufgezeichnet. Wikileaks-Chef Kristinn Hrafnsson sagte darin: "Wenn Ihr dies seht, heißt das, dass er draußen ist."
Australiens Regierungschef Albanese begrüßte Assanges Freilassung. "Durch seine fortgesetzte Inhaftierung ist nichts zu gewinnen, und wir wollen, dass er nach Australien zurückgebracht wird", sagte er. "Wir haben uns für die Interessen Australiens eingesetzt und alle geeigneten Kanäle genutzt, um ein positives Ergebnis zu erzielen."
Der frühere US-Vizepräsident Mike Pence kritisierte hingegen die Regierung von US-Präsident Joe Biden. "Julian Assange hat das Leben unserer Soldaten in Kriegszeiten gefährdet und hätte im vollen Umfang des Gesetzes strafrechtlich verfolgt werden müssen", schrieb Pence bei X.
dpa/jb/LTO-Redaktion
Julian Assange kommt frei: . In: Legal Tribune Online, 25.06.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54846 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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