Deutsche Gerichte ächzen unter der Last von Verfahren gegen islamistische Terroristen. In Frankfurt befasst sich eine Staatsschutzkammer nur mit Anklagen gegen Islamisten - und sammelt dabei nützliches Wissen für künftige Prozesse.
Bombenbau und Terrorpropaganda, Folter und Kriegsverbrechen: Wenn sich islamistische Tatverdächtige vor dem Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt verantworten müssen, sind die Vorwürfe meist schwer. Seit 2010 gab es nach Angaben einer Gerichtssprecherin 28 entsprechende Anklagen und 25 Urteile. Derzeit laufen drei Verfahren gleichzeitig, unter anderem gegen mutmaßliche Mitglieder der Terrormiliz IS. Sie werden voraussichtlich in den kommenden Wochen abgeschlossen. In einem weiteren sogenannten Zwischenverfahren muss noch über die Eröffnung des Hauptverfahrens entschieden werden.
Damit gehört das Frankfurter Gericht zu jenen, die im bundesweiten Vergleich überdurchschnittlich viele Islamisten-Verfahren bearbeiten. Das ist auch auf den größten deutschen Flughafen in Frankfurt zurückzuführen, über den viele mutmaßliche Islamisten nach Deutschland einreisten. Noch mehr Verfahren gibt es beim OLG Düsseldorf, das für ganz Nordrhein-Westfalen zuständig ist. Auch beim OLG München, zuständig für das gesamte Bundesland Bayern, dürften nach Einschätzung der Gerichtssprecherin noch mehr Verfahren anhängig sein.
In Frankfurt befasst sich eine der Staatsschutzkammern mittlerweile nur noch mit Islamisten-Verfahren, auch die zweite Kammer hat immer wieder mit mutmaßlichen Islamisten zu tun. "Die Islamisten-Verfahren sind eine große personelle Herausforderung für das Oberlandesgericht", sagte OLG-Präsident Roman Poseck. "Wir mussten den Personaleinsatz im Staatsschutz in den letzten Jahren immer weiter ausbauen und wissen nicht, was noch auch auf uns zukommt."
Beweisführung sehr aufwendig
Durch IS-Rückkehrer könne es künftig noch zu einem weiteren Anstieg von Verfahren kommen. Die Arbeitsintensität belastet auch andere Bereiche des Gerichts. "Wir können unser Personal nur einmal einsetzen", sagte Poseck. "Personelle Verstärkungen im Staatsschutz gehen daher grundsätzlich zu Lasten anderer Bereiche, zum Beispiel der Ziviljustiz, die ebenfalls sehr hoch belastet ist."
Vor dem Frankfurter OLG wurde etwa der erste vollendete islamistische Anschlag in Deutschland verhandelt, bei dem der im Februar 2012 zu lebenslanger Haft verurteilte Attentäter Arid U. im März 2011 zwei Angehörige der amerikanischen Luftwaffe getötet und zwei weitere Soldaten schwer verletzt hatte.
Von den weiteren 27 Verfahren wegen islamistischen Terrorismus ging es in 18 Fällen um Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland, in zwei Fällen um Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland, in vier um die Werbung von Mitgliedern oder Unterstützern. Drei Verfahren betrafen Kriegsverbrechen. Die Liste der Organisationen, denen die Angeklagten angehört haben sollen, liest sich wie ein Who-is-who des islamistischen Terrorismus: Die Terrormilizen Al-Qaida und IS waren ebenso darunter wie die somalische Al-Shabaab-Miliz, die syrische Nusra-Front oder die Islamische Bewegung Usbekistan.
"Die Islamisten-Verfahren sind in der Regel sehr aufwändig und eilbedürftig", sagte Poseck. "Die Beweislage und die rechtlichen Fragen sind oft schwierig." Denn selten hat das Gericht Zugang zu Zeugen der den Angeklagten vorgeworfenen Taten. Deshalb sind die Richter oft auf Mitschnitte von Telefongesprächen angewiesen, in denen der Angeklagte über seine Taten berichtet, sowie auf Protokolle von Internet- oder WhatsApp-Chats, die meist noch übersetzt werden müssen. In einigen Fällen lagen auch mit Mobiltelefonen gefertigte Fotos oder Videos von Kampfhandlungen in Syrien vor, die in der Hauptverhandlung in Augenschein genommen werden konnten.
Richter sammeln Spezialwissen über Terrororganisationen
"Man kann das nicht betrachten wie ein Kriminaldelikt in Deutschland, wo man lückenlos und einfach ermitteln kann und wo es Zeugen gibt, die sich auch noch in der deutschen Sprache artikulieren können", wies Susanne Schröter, Leiterin des Forschungszentrums Globaler Islam an der Frankfurter Universität, auf die besonderen Schwierigkeiten bei den Verfahren gegen mutmaßliche Islamisten hin.
Für Schröters Studenten wird das OLG regelmäßig zum Lernort, wenn Prozesse gegen islamistische Angeklagte beobachtet werden. "Es ist sehr schwer, belastbares Material zu bekommen", sagte Schröter über die Herausforderungen für Richter und Staatsanwälte. "Man muss letztlich viele kleine Schnipsel zusammenfassen, um etwas zu beweisen." Niemand sage schließlich: "Ich habe dort gemordet, Anschläge durchgeführt, gefoltert. Alle sagen: Ich bin da nur Auto gefahren, ich war Krankenpfleger, ich habe nichts mit der Waffe in der Hand gemacht und habe mir keinerlei Straftaten zuschulden kommen lassen."
Die Tatsache, dass die Richter der Staatsschutzkammer durch die jahrelange Erfahrung mit Islamisten-Verfahren auch viel Spezialwissen angesammelt haben, hält Schröter für "absolut wichtig" für weitere Verfahren. "Das ist ein Gebiet, das sehr schwierig zu durchdringen ist, es gibt transnationale Netzwerke, Neugründungen - darüber muss man einfach Bescheid wissen." Gerade mit Blick auf weitere Prozesse im Zusammenhang mit Rückkehrern lohne sich eine Spezialisierung der Juristen, die ein Urteil sprechen müssen.
dpa/mam/LTO-Redaktion
Mehr Prozesse gegen Terroristen und Unterstützer: . In: Legal Tribune Online, 19.08.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/37123 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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