Nach dem BVerfG-Haushaltsurteil fehlen der Regierung Milliarden für den Klimaschutz. Eventuell kommt es noch dicker: Strom, Gas und Fernwärme könnten teurer werden, warnt der Wirtschaftsminister, weil das Urteil weitere Fonds betreffen könne.
Wirtschaftsminister Robert Habeck befürchtet nach dem Karlsruher Haushalts-Urteil noch weitere krasse Auswirkungen auf die Bundesfinanzen – und auf die Energiepreise. Seiner Ansicht nach gefährdet das Urteil nämlich auch den Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF), aus dem die Energiepreisbremsen gezahlt werden, sagte der Grünen-Politiker am Montag im Deutschlandfunk. "In der Begründung bezieht sich das Urteil, weil es so fundamental gesprochen ist, in der Tat im Grunde auf alle Fonds, die aufgesetzt wurden und die überjährig sind."
Damit wären auch Mittel betroffen, die in diesem Jahr bereits ausgezahlt wurden. Denn aus dem WSF flossen bis Ende Oktober bereits 31,2 Milliarden Euro. Konkret: 11,1 Milliarden Euro für die Gaspreisbremse und 11,6 Milliarden für die Strompreisbremse, dazu 4,8 Milliarden für eine Erdgas-Soforthilfe und 3,7 Milliarden Euro Zuschüsse für Netzentgelte.
Die Energiepreisbremsen sollten den rasanten Preisanstieg bei Gas und Strom nach dem russischen Angriff auf die Ukraine abmildern. Außerdem waren Hilfen für besonders betroffene Unternehmen vorgesehen. Dafür wurde das vom Kernhaushalt wirtschaftlich unabhängige Sondervermögen mit Krediten in Höhe von 200 Milliarden Euro gefüttert. Ob die Mittel im kommenden Jahr noch zur Verfügung stehen, ist genauso unklar wie die Frage, ob das Geld in diesem Jahr überhaupt hätte gezahlt werden dürfen.
"Das heißt aber im Klartext, dass jedenfalls für die Zukunft – der Fonds soll ja andauern bis zum Sommer 2024 – die Bürgerinnen und Bürger höhere Strom- und gegebenenfalls höhere Gaspreise bekommen werden", sagte Habeck. "Sollten wir in eine Krise reingeraten, werden wir die Gas- und die Strompreisbremse nicht mehr ziehen können. Dann werden wir höhere Gas- und Strompreise und Fernwärmepreise haben."
Sowohl die Regierung als auch Unionsfraktionschef Friedrich Merz haben angekündigt, auch den WSF auf Verfassungsmäßigkeit überprüfen zu lassen. Die Union will gegebenenfalls erneut vor Gericht zu ziehen. Ein solches Verfahren vor dem BVerfG könnte sich aber von vornherein erledigt haben, wenn Habeck nun schon selbst insoweit Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit öffentlich äußert. Habeck betonte indes, die Dankesschreiben für möglicherweise höhere Strompreise könnten die Bürgerinnen und Bürger gleich an die Union richten.
Union und Habeck schieben sich Verantwortung gegenseitig zu
Die Union hatte in Karlsruhe gegen die Umwidmung von Krediten in Höhe von 60 Milliarden Euro im Bundeshaushalt geklagt. Sie waren zur Bewältigung der Corona-Krise genehmigt worden, sollten dann aber für Klimaschutz und die Modernisierung der Wirtschaft eingesetzt werden. Das BVerfG erklärte das Manöver der Ampel-Regierung dann vergangene Woche für nichtig: Das Geld steht nun nicht mehr zur Verfügung, was auch unmittelbare Folgen für den Klimaschutz haben könnte. Darüber hinaus könnten Folgen für den Umgang mit schuldenfinanzierten Sondervermögen in Bund und Ländern generell entstehen.
Die Union wies Habecks Schuldzuweisungen zurück. "Einzig das Versagen der Ampel hat Deutschland in diese Lage geführt, das war Verfassungsbruch mit Ansage", sagte Fraktionsvize Jens Spahn. Auch CSU-Landesgruppenchef Dobrindt formuliert Handlungsempfehlungen an die Bundesregierung: "Das Heizungsgesetz gehört sofort gestoppt, es kostet Bürger und Staat mehrere Milliarden Euro und hat kaum einen Nutzen auf den CO2 Ausstoß", so Dobrindt gegenüber den Zeitungen der Mediengruppe Bayern. Ziel des Gebäudeenergiegesetzes ("Heizungsgesetz") ist es, durch einen schrittweisen Austausch von Öl- und Gasheizungen das Heizen in Deutschland klimafreundlicher zu machen. Es soll Anfang 2024 in Kraft treten, nachdem es ein durchaus turbulentes Gesetzgebungsverfahren inklusive Involvierung des BVerfG gegeben hatte.
Die FDP brachte Kürzungen bei den Sozialausgaben ins Spiel, um das Milliardenloch zu stopfen. Die Ampel-Koalition müsse darüber reden, wo der Sozialstaat seinen Beitrag zur Haushaltskonsolidierung leisten könne, sagte FDP-Fraktionschef Christian Dürr der Funke-Mediengruppe. Steuererhöhungen seien dagegen der falsche Weg, um die Wirtschaft anzukurbeln und den Wirtschaftsstandort Deutschland wieder wettbewerbsfähig zu machen. Ausgaben für die Rentenversicherung und die Grundsicherung gehören zu den größten im Bundeshaushalt. Der Etat des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales beträgt mehr als 165 Milliarden Euro - als ein Drittel des Gesamtetats.
SPD-Fraktionsvize Sören Rix lehnte den FDP-Vorstoß ab. "Wenn die FDP jetzt Kürzungen bei den Sozialleistungen ins Spiel bringt, spielt sie nicht nur mit dem Zusammenhalt in der Koalition, sondern gefährdet auch massiv den demokratischen Zusammenhalt in unserem Land." Wiederum forderte auch Alexander Dobrindt eine "Rückabwicklung" des Bürgergelds: "Das Bürgergeld ist zur Arbeitsbremse geworden, es schafft neue Ungerechtigkeiten und hält Menschen in der Sozialhilfe fest. Es muss rückabgewickelt und ersetzt werden durch ein neues soziales Leistungssystem, das die Arbeitsaufnahme fördert und nicht verhindert", sagte Dobrindt.
Bundesrechnungshof: "Verfassungsrechtlich höchst risikobehaftet"
Der Bundesrechnungshof (BRH) hält die Bundeshaushalte für 2023 und für 2024 nach dem BVerfG-Urteil jeweils "in verfassungsrechtlicher Hinsicht für äußerst problematisch". Das geht aus der BRH-Stellungnahme für die Sachverständigenanhörung im Haushaltsausschuss des Bundestags von vergangener Woche hervor. Den Etat für 2024 in der aktuellen Lage zu beschließen, sei riskant.
Auch Steuerrechtler Hanno Kube von der Universität Heidelberg rät in seiner Stellungnahme von einem Beschluss des Haushalt 2024 ab. "Der vorliegende Entwurf des Haushaltsgesetzes 2024 könnte verfassungswidrig sein", schreibt er. Offen sei, ob einzelne Posten aus dem Klima- und Transformationsfonds nun in den Kernhaushalt überführt werden müssten.
Wirtschaftswissenschaftler Jens Südekum dagegen sieht den Kernhaushalt des kommenden Jahres von dem Karlsruher Urteil nicht direkt betroffen. So lange ein Ausgabenstopp im Klima- und Transformationsfonds verhängt würde, könne der Etat 2024 verabschiedet werden. Es sei allerdings ein baldiger Nachtragshaushalt wahrscheinlich. Weil offene Fragen zum Urteil realistischerweise nicht bis Jahresende geklärt werden könnten, solle der Etat trotzdem erst einmal beschlossen werden, rät er.
Auswirkungen auf das Sondervermögen für die Energiepreisbremsen halten die meisten Sachverständigen für denkbar - sie äußern sich jedoch nicht eindeutig zu den Konsequenzen. Am Dienstag sollen die Experten im Haushaltsausschuss des Bundestags eingehend zu ihren Stellungnahmen befragt werden.
dpa/jb/LTO-Redaktion
Nach BVerfG-Urteil zum Bundeshaushalt: . In: Legal Tribune Online, 20.11.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53217 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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