Arbeitsschutz, Ausbeutung und Corona: Die Fleischindustrie sorgte in den vergangenen Wochen immer wieder für Schlagzeilen. Ein Gutachten kommt nun zu dem Schluss, dass ein Werkvertragsverbot für Schlachthöfe verfassungskonform wäre.
Ein nur auf die Fleischindustrie begrenztes Verbot von Werkverträgen und Leiharbeit ist laut einem Gutachten für das Düsseldorfer Gesundheitsministerium rechtlich möglich. "Um drohende schwere Schäden für Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer in den Schlachthöfen abzuwenden", dürfe der Gesetzgeber dort ein Direktanstellungsgebot aussprechen, heißt es in dem am Donnerstag veröffentlichten Gutachten. Dies rechtfertige einen Eingriff in die Berufsfreiheit der Schlachthofbetreiber und der Werkvertragsunternehmen, stellte Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Olaf Deinert von der Universität Göttingen fest.
Nordrhein-Westfalens Arbeitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) hatte nach dem massenhaften Corona-Ausbruch beim Branchen-Riesen Tönnies bereits mehrfach darauf gedrungen, Werkverträge in der Fleischindustrie zu verbieten. "Ich bin zuversichtlich, dass das jetzt auch passiert", sagte er der Deutschen Presse-Agentur in Düsseldorf.
Gegner hätten oft betont, dass ein solches Verbot rechtlich nicht möglich sei. Daher habe er die Frage wissenschaftlich prüfen lassen. "Das nun vorliegende Gutachten kommt klar zu dem Schluss: Ein solches Verbot ist rechtlich möglich", unterstrich der CDU-Politiker.
In dem Gutachten heißt es unter anderem: "Die festgestellten Missstände beim Einsatz von Werkverträgen in der Fleischindustrie rechtfertigen ein sektorales Verbot von Werkverträgen und Leiharbeit." Dies sei sowohl verfassungs- als auch europarechtskonform. Da Gefährdungen der Arbeitnehmerrechte durch Betriebsorganisation ohne Personalverantwortung in anderen Branchen bislang nicht in vergleichbarem Ausmaß bekannt geworden seien, dürfe die gesetzliche Regelung auf Betriebe der Fleischindustrie beschränkt bleiben. "Das ist im Sinne des Prinzips der Verhältnismäßigkeit sogar geboten", so das Gutachten.
9.000 Verstöße in 30 Betrieben
Mildere Mittel - etwa eine Selbstverpflichtung der Branche – seien bereits ins Leere gelaufen. "Die Fleischindustrie findet erkennbar nicht aus eigener Kraft den Weg aus dieser Situation heraus", so der Göttinger Arbeits- und Sozialrechtler.
Die Zahlen sprächen für sich: "In manchen Schlachthöfen werden bis zu 30 Werkvertragsunternehmen tätig", heißt es im Gutachten. Die Größe variiere erheblich zwischen zwei und 5.000 Beschäftigten. Eingesetzt würden Arbeitnehmer aus Osteuropa, "die überwiegend der deutschen Sprache nicht mächtig sind". Allein in NRW betreffe das rund 17.000 Arbeitsplätze. Das Geschäftsmodell basiere auf einem Sozialkostengefälle, kritisierte Deinert.
Praktisch seien in der Fleischindustrie "keinerlei eigene Arbeitnehmer in der Produktion beschäftigt". Nach Feststellungen des Arbeitsministeriums in NRW sei dies nur in zwei von 30 Großbetrieben anders. Ansonsten werde "auf Basis von etwa 90 Werkverträgen" Fremdpersonal eingesetzt. "Eine derart weitgehende Ausgliederung praktisch des gesamten Kernprozesses der betrieblichen Produktion ist bislang aus keiner anderen Branche bekannt", hob der Wissenschaftler hervor.
Dabei seien wiederholt massive Verstöße gegen arbeitsrechtliche Verpflichtungen festgestellt worden. So seien in NRW zwischen Juli und September 2019 bei breit angelegten Kontrollen der Arbeitsplätze von 17.000 Beschäftigten fast 9.000 Verstöße festgestellt worden. Darunter: Arbeitszeiten über 14 Stunden, versperrte Notausgänge, offene Brandschutztüren, fehlende Schutzausrüstungen - etwa gegen Kälte und Schnittverletzungen sowie zum Gehör- und Sichtschutz. Regelmäßig werde von Werkvertragsunternehmen Lohn für Schutzkleidung oder für die zweimonatige Anlernphase einbehalten.
"Wenn in 30 Betrieben knapp 9.000 Verstöße festgestellt werden und auch derartige Ausmaße nicht als völlige Ausreißer erscheinen, ist ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut gefährdet", bilanzierte Deinert. Weitere Kontrollen in diesem Jahr hätten keine Besserung ergeben. Wenn der Gesetzgeber eine Grenze als überschritten ansehe, könne er die rechtlichen Grundlagen des Missbrauchs beseitigen.
Die Interessen der Fleischindustrie hätten hinter dem Allgemeininteresse zurückzutreten, erklärte der Jurist. "Der Einwand, sie seien dann verstärkter Billigkonkurrenz aus dem Ausland ausgesetzt, verfängt nicht", stellte er fest. "Konkurrenzdruck kann nicht die Verletzung geltenden Rechts rechtfertigen."
Ein Direktanstellungsgebot lege die Verantwortung wieder in eine Hand: "So entfällt die Gefahr, dass das Fleischunternehmen als Herr des Produktionsprozesses nicht etwa nur sehenden Auges Rechtsverstöße der Vertragspartner hinnimmt, sondern diese sogar durch knappe Preiskalkulation veranlasst, unter Umständen sogar fordert."
dpa/acr/LTO-Redaktion
Gutachten für NRW-Gesundheitsministerium: . In: Legal Tribune Online, 21.07.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42269 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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