148 Nein-Stimmen, sieben Enthaltungen: Bun­destag besch­ließt Vor­rats­da­ten­spei­che­rung

16.10.2015

Plötzlich ging es schnell: Nachdem die Bundesregierung das Streitthema VDS recht kurzfristig auf die Tagesordnung setzte, beschloss der Bundestag am Freitag das neue Gesetz. Es wird wohl bald in Karlsruhe und Luxemburg landen.

Justizminister Heiko Maas (SPD) hatte sich lange gegen die Rückkehr zur Vorratsdatenspeicherung gesperrt und erst auf das Drängen seines Parteichefs Sigmar Gabriel hin den Entwurf für eine Neuregelung vorgelegt. Dieser Entwurf passierte nun den Bundestag. Maas verteidigte das neue Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung (VDS) als verhältnismäßig und rechtlich einwandfrei: Im Gegensatz zur früheren Regelung würden weniger Daten gespeichert, kürzer aufbewahrt, und es gebe hohe Hürden für den Zugriff. Der Aufschrei der Gegner des Gesetzes ist jedoch groß.

Die Grünen kritisieren das "Hauruck-Verfahren unter dem Radar der derzeitigen Flüchtlingsdiskussionen". Auch Datenschützer und Netzaktivisten sind besorgt - und kündigen bereits juristischen Widerstand an.

So bereitet etwa der Verein Digitalcourage schon eine Verfassungsbeschwerde vor. "Weil politische Diskussion und sachliche Argumente offenbar nichts mehr ausrichten, werden wir den juristischen Weg gehen", erklärt eine Sprecherin. "Meine grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken bleiben bestehen", sagt auch die Bundesdatenschutzbeauftragte Voßhoff.

Renate Künast von den Grünen meint, das Gesetz entspreche nicht den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) und des Europäischen Gerichtshofs (EuGH). "Es wird dementsprechend in Karlsruhe und Luxemburg landen." Sowohl die EU-Kommission als auch der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestags haben Kritik an dem aktuellen Entwurf geübt, der sich von den gekippten Regeln in Teilen nur unwesentlich unterscheidet.  

Berufsgeheimnisträger kritisieren mangelnden Schutz

Das BVerfG hatte 2010 die bis dato geltenden deutschen Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung für verfassungswidrig erklärt. Die damalige schwarz-gelbe Regierung konnte sich danach nicht auf eine Neufassung einigen, Ex-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), eine erklärte Gegnerin der VDS, zog sich auf die Position zurück, die europäische Regelung abwarten zu wollen. Deshalb gibt es in Deutschland schon seit Jahren kein Gesetz mehr dazu. Die EU-weiten Vorgaben kippte der EuGH im Jahr 2014 - wegen Verstößen gegen Grundrechte.

Das nun vom Bundestag beschlossene Gesetz sieht vor, dass künftig zehn Wochen lang gespeichert werden soll, wer wann mit wem wie lange telefoniert, SMS verschickt und wie sich jemand im Internet bewegt. Vier Wochen sollen die Standortdaten von Handy-Gesprächen aufbewahrt werden. Daten zum E-Mail-Verkehr würden nicht erfasst, auch nicht Kommunikationsinhalte. Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung trifft das allerdings nicht zu, aus technischen Gründen würden SMS-Texte sehr wohl gespeichert. Die Sicherheitsbehörden bekommen nur in bestimmten Fällen Zugriff auf die Daten. Doch die Erfassung trifft nicht nur Verdächtige, die schwerer Straftaten beschuldigt werden, sondern alle Bürger.

Es soll Ausnahmen von der generellen Speicherung geben. Die Anrufe bei Seelsorge-Hotlines werden grundsätzlich nicht erfasst. Die Daten von Berufsgeheimnisträgern - etwa Rechtsanwälten, Ärzten, Abgeordneten oder Journalisten - werden zwar mitgespeichert, dürfen aber nicht verwertet werden.Das klingt allerdings besser, als es ist: Die Daten lassen sich nicht vorab herausfiltern. Es zeigt sich erst beim Zugriff, ob jemand Informant oder Lehrer, Tatverdächtiger oder Anwalt ist.

Journalisten sehen daher den Informantenschutz in Gefahr: "Sollte das Gesetz Realität werden, können Journalisten ihren Quellen keinen Schutz vor Aufdeckung mehr bieten", warnten Medienorganisationen und die ARD. Auch die Anwälte kritisierten den mangelnden Geheimnisschutz, den auch der EuGH explizit gefordert hat, seit Vorstellung des Entwurfs vehement.

Keine Belege für effizientere Strafverfolgung

Kritik kommt auch von Seiten der Telekommunikationsunternehmen. Sie sollen verpflichtet werden, bei der Speicherung Sicherheitsvorkehrungen einzuhalten, dafür einen Server im Inland zu benutzen und die Daten nach Ablauf der vier oder zehn Wochen unverzüglich zu löschen. Sonst droht ein Bußgeld. Der Verband der Internetwirtschaft eco: "Die betroffenen Unternehmen bleiben auf Kosten von geschätzt 600 Millionen Euro sitzen, die sie für die Einrichtung entsprechender Speicherinfrastruktur ausgeben werden."

Die Regierung erhofft sich eine effizientere Bekämpfung von Terror und schweren Verbrechen. Die Behörden dürfen die Daten laut Gesetzentwurf auch nur zur Verfolgung bestimmter schwerer Straftaten nutzen - etwa bei der Bildung terroristischer Vereinigungen, Mord, Totschlag oder sexuellem Missbrauch. Ein Abruf der Informationen soll dem Richtervorbehalt unterliegen.

Die Tauglichkeit des Gesetzes zur Verhinderung und Verfolgung von Straftaten wird jedoch allgemein angezweifelt. Den Straftätern werde bereits im Vorfeld aufgezeigt, dass ihre Telefongespräche in Call-Shops oder die Internetnutzung in Internet-Cafés nicht in die Vorratsdatenspeicherung einfließe, bemängelte unlängst die Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff. Empirische Daten zur gesteigerten Effizienz in der Strafverfolgung gibt es auch aus Staaten nicht, welche die VDS bereits eingeführt haben. Zuletzt kippte der High Court in England das britische Pendant, das große Ähnlichkeiten mit dem am Freitag beschlossenen Gesetz hat. Dessen Ähnlichkeit wiederum mit der früheren, vom BVerfG mit sehr detaillierten Vorgaben gekippten VDS sind so frappierend, dass der erste Gang nach Karlsruhe nicht lange auf sich warten lassen dürfte. 

pl/mbr/LTO-Redaktion, mit Materialien von dpa

Zitiervorschlag

148 Nein-Stimmen, sieben Enthaltungen: . In: Legal Tribune Online, 16.10.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17239 (abgerufen am: 01.11.2024 )

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