Unter welchen Voraussetzungen ist die Übermittlung von EncroChat-Daten zwischen ausländischen Behörden zulässig? Grundsätzlich unter den gleichen, die für die Anforderung von Beweismitteln von inländischen Behörden gelten, so der EuGH.
Der Krypto-Messengerdienst Encrochat galt zunächst als nicht entschlüsselbar und war deshalb in der kriminellen Szene verbreitet. Die Polizei in Frankreich und den Niederlanden konnte die Software aber im Frühjahr 2020 knacken. Mehr als 20 Millionen geheime Chat-Nachrichten wurden abgeschöpft. Dies führte zu zahlreichen Festnahmen in ganz Europa. Meist ging es um Drogenhandel. Mittels einer aufgespielten Überwachungssoftware gelang es den französischen Behörden, die Kommunikation, die über diese Encrochat-Geräte lief, quasi live mitzulesen. Die Details der Überwachungsmaßnahmen sind allerdings unbekannt, weil sie in Frankreich als Staatsgeheimnis eingestuft sind.
Seit längerem ist umstritten, ob bzw. in welchem Umfang die durch EncroChat gewonnenen Daten in Strafverfahren verwertbar sind. Nun hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) auf Vorlage des des Landgerichts (LG) Berlin einige dieser Fragen beantwortet: Deutsche Ermittler dürfen theoretisch auch ohne richterliche Anordnung bei Partnerländern Beweismittel aus dem Krypto-Messengerdienst Encrochat abfragen. Das Verfahren könne unter bestimmten Voraussetzungen auch von einer Staatsanwaltschaft in die Wege geleitet werden, stellten die Richter am Dienstag in Luxemburg klar.
Die deutsche Staatsanwaltschaft hatte in einem Strafverfahren wegen illegalen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln eine sogenannte Europäische Ermittlungsanordnung (EEA) erlassen. Daraufhin hatte ein französisches Gericht die Übermittlung der Daten an Deutschland genehmigt. Das Landgericht Berlin hatte aber Zweifel, ob diese Ermittlungsanordnung rechtmäßig verlief, weil in Deutschland eine Staatsanwaltschaft und kein Richter diese in die Wege geleitet hatte. Unterliegt die Entscheidung, im Ausland per EEA Beweismittel anzufordern, im Fall der EncroChat-Überwachungsdaten einem Richtervorbehalt? Zu diesem Themenkomplex legte das LG Berlin Ende 2022 insgesamt 14 Fragen nach Luxemburg vor (Beschl. v. 19.10.2022, Az. 525 KLs, 8/22).
Wie unter Behörden im Inland
Hierauf antwortete der EuGH nun, dass die EEA grundsätzlich auch von einem Staatsanwalt erlassen werden kann. Das gelte aber nur, "wenn dieser in einem rein innerstaatlichen Verfahren dafür zuständig ist, die Übermittlung bereits erhobener Beweise anzuordnen". Der Erlass der EEA steht nach Auffassung der Luxemburger Richter also nicht unter einem Richtervorbehalt. Solange die Staatsanwaltschaft innerstaatlich die Übermittlung bereits erhobener Beweise anordnen dürfe, könne sie das auch grenzüberschreitend tun. Der EuGH machte hinsichtlich der materiell-rechtlichen Voraussetzungen keinen Unterschied zwischen der grenzüberschreitenden EEA-Übermittlung und Anforderung von Informationen unter innerstaatlichen Behörden per Auskunftsgesuch. Dagegen müsse der Erlass eines EEA nicht denselben materiell-rechtlichen Voraussetzungen unterliegen, wie es für den Fall der Beweiserhebung gelte.
Die Luxemburger Richter stellten allerdings klar, dass der Mitgliedstaat, in dem sich eine über EncroChat überwachte Person aufhält, über die entsprechenden Überwachungsmaßnahmen informiert werden muss. Konkret bedeutet das: Überwachen deutsche Sicherheitsbehörden eine Person in Frankreich, müssen sie das den französischen Behörden mitteilen. In diesem Fall solle dann Frankreich entscheiden können, ob die Überwachungsmaßnahmen fortgeführt werden oder nicht.
Aus Sicht des EuGH ist es außerdem grundsätzlich unerheblich, dass die Beweiserhebung durch die französischen Behörden hier in Deutschland und im Interesse der deutschen Behörden erfolgte. Entscheidend sei, dass ein Gericht, das mit einem Rechtsbehelf gegen die EEA befasst ist, die Wahrung der Grundrechte der betroffenen Personen überprüfen können.
EncroChat-Fälle bleiben umstritten
Darin sieht Johannes Eisenberg, Strafverteidiger in einem anderen Verfahren vor dem LG Berlin, in dem 2023 weitere Vorlagenfragen an den EuGH gestellt worden sind,* die Feststellung des EuGH, dass die EEA-Normen auch individualschützenden Charakter haben. Eisenberg äußerte gegenüber LTO weiter, dass ausgehend von der EuGH-Entscheidung in der Praxis wohl keine grundsätzlichen Änderungen für die "normalen" EncroChat-Fälle zu erwarten seien.
Die von den franzöischen und niederländischen Behörden erlangten EncroChat-Daten haben in den vergangenen Jahren zu mehreren tausend Ermittlungsverfahren geführt, von denen etliche auch einen Bezug zu Deutschland haben. Laut Europol waren bis Sommer 2023 über 6.500 Menschen festgenommen und fast 900 Millionen Euro beschlagnahmt worden. Für Deutschland hatte der Bundesgerichtshof Anfang 2022 entschieden, dass die EncroChat-Daten keinem Beweisverwertungsverbot unterliegen (Beschl. v. 08.02.2022, Az. 6 StR 639/21). Weitere Senate schlossen sich dem in der Folge an.
Trotzdem ist die Frage nach der Verwertbarkeit rechtswissenschaftlich und -politisch umstritten. Auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ist insoweit bereits mit der Frage der Verfassungsmäßigkeit der Verwertbarkeit befasst, im Herbst 2023 wurden zwar bereits diverse Verfassungsbeschwerden als unzulässig verworfen, in der Sache selbst gab das BVerfG noch keine Antwort.
Wie die 25. Große Strafkammer des LG Berlin den Ausgangsfall entscheiden wird, bleibt abzuwarten. Die Kammer hatten im Vorlagebeschluss starke Zweifel an der Verwertbarkeit der EncroChat-Daten und der bisherigen BGH-Rechtsprechung erkennen lassen.
jb/LTO-Redaktion
* Hier hieß es zunächst unzutreffend, Johannes Eisenberg sei Verteidiger in dem Verfahren vor dem LG Berlin, welches der hier besprochenen EuGH-Entscheidung zugrunde liegt. Der hiesige Angeklagte wird aber von Stefan Conen vertreten. Korrigiert am 1.5.2024, 8:27 Uhr.
EuGH sieht keinen Richtervorbehalt: . In: Legal Tribune Online, 30.04.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54457 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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