EGMR zur Stichtagsregelung im Erbrecht: Deut­sch­land dis­kri­mi­niert nicht­e­he­liche Kinder noch immer

09.02.2017

Bereits 2009 hatte der EGMR Deutschland wegen der Benachteiligung unehelicher Kinder im Erbrecht verurteilt. Der Gesetzgeber erließ daraufhin eine neue Stichtagsregelung - aber auch die ist diskriminierend, entschied der EGMR nun.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat Deutschland erneut wegen einer Diskriminierung von nichtehelichen Kindern im Erbrecht verurteilt. Die Straßburger Richter gaben am Donnerstag einer Frau Recht, der Ansprüche am Erbe ihres Vaters verwehrt worden waren (Urt. v. 09.02.2017, Az. 29762/10).

In Deutschland haben nichteheliche Kinder, die vor dem 1. Juli 1949 geboren worden sind und deren Vater vor dem 29. Mai 2009 gestorben ist, keine Rechte am Erbe des Verstorbenen. Die Klägerin wurde 1940 als nichteheliches Kind geboren. Sie lebte zunächst in der DDR, später in Bayern. Ihr Vater, der seine Tochter anerkannt hatte, starb im Januar 2009, also kurz vor dem Stichtag. Die beiden waren regelmäßig in Kontakt. Nach seinem Tod verwehrten die Gerichte der Frau wegen der geltenden Rechtslage eine Stellung als Erbin.

Bis 1970 galten ein nichteheliches Kind und sein Vater als nicht verwandt. Auch nach einer Gesetzesänderung blieb es für Kinder, die vor dem 1. Juli 1949 geboren wurden, bei einer Benachteiligung im Erbrecht. Nach einer früheren Verurteilung durch den EGMR im Jahr 2009 hob Deutschland diese Stichtagsregelung teilweise auf - für Fälle, in denen der Vater nach dem 29. Mai 2009 gestorben war.

BVerfG hält Stichtagsregelung für verfassungsgemäß

Die komplizierte Stichtagsregelung wurde damals aus Gründen des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit eingeführt. Der Gesetzgeber wollte die erbrechtlichen Verhältnisse zwischen Hinterbliebenen nicht über Gebühr rückwirkend durcheinander bringen. 2013 bestätigte das Bundesverfassungsgericht die Regelung. Kurz zuvor hatte der EGMR eine ähnliche Stichtagsregelung in Frankreich jedoch als diskriminierend bewertet.

Die Straßburger Richter rügten die Stichtagsregelung als diskriminierend. Für eine solche Ungleichbehandlung brauche es sehr gewichtige Gründe, heißt es in dem Urteil. Die europäische Rechtsprechung und nationale Reformen tendierten nämlich klar dazu, alle erbrechtlichen Diskriminierungen von nichtehelichen Kindern abzuschaffen. Rechtssicherheit und Vertrauensschutz könnten die Ungleichbehandlung nicht rechtfertigen.

Entscheidend war für die Richter im konkreten Fall auch, dass die nichtehelich geborene Klägerin von ihrem Vater anerkannt worden war und beide in Kontakt standen. Die Witwe des Mannes wusste daher um die Existenz einer nichtehelichen Tochter.

Noch ist die Entscheidung nicht rechtskräftig. Die Bundesregierung könnte eine Verweisung an die große Kammer beantragen. Tut sie dies nicht, ist Deutschland an das Urteil gebunden. Auf die erste Verurteilung von 2009 hat der deutsche Gesetzgeber mit einer Reform des Erbrechts reagiert. Konkrete Vorgaben, wie das Urteil, dessen Durchsetzung der Europarat überwacht, umzusetzen ist, gibt es allerdings nicht. Die Klägerin kann außerdem auf eine Entschädigung hoffen, über die der Gerichtshof noch nicht entschieden hat. In Straßburg sind zudem zwei weitere Fälle anhängig.

dpa/acr/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

EGMR zur Stichtagsregelung im Erbrecht: . In: Legal Tribune Online, 09.02.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22049 (abgerufen am: 05.11.2024 )

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