Den Mördern des Schauspielers Walter Sedlmayr steht kein Recht auf Vergessenwerden zu, sagt der EGMR. Schließlich hätten die Täter einst selbst um eine Berichterstattung in ihrer Sache gebeten.
1990 wurde der bayerische Schauspieler Walter Sedlmayr getötet. Der Fall erregte damals großes öffentliches Interesse in den Medien. Noch heute finden sich im Internet vereinzelt Informationen zu den Umständen der Tat - sehr zum Unmut der beiden Täter, die, 14 bzw. 15 Jahre nach ihren Verurteilungen wegen Mordes 2007 und 2008 aus der Haft entlassen wurden. Sie wollen von der Öffentlichkeit "vergessen werden". Ein solches Recht gibt es zwar, wurde den Männern jedoch verwehrt. Zunächst vom Bundesgerichtshof (BGH) und nun auch vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EMGR) (Urt. v.28.06.2018, Az. 60798/10 und 65599/10).
Die Beschwerde der beiden Männer richtete sich gegen das Urteil des BGH. Sie hatten einst gegen drei Medienhäuser geklagt, die auch noch Jahre nach der Tat über die Ereignisse berichteten und entsprechendes Informationsmaterial in ihren Online-Archiven zur Verfügung stellten. Dort konnten Artikel oder Beiträge eingesehen werden, in denen die Namen der Mörder genannt oder Bilder von ihnen gezeigt wurden.
Die beiden Beschwerdeführer sahen dadurch ihr Menschenrecht auf Achtung des Privatlebens (Art. 8 EMRK) verletzt und zogen vor den EGMR, jedoch ohne Erfolg. Die Straßburger Richter führten aus, dass die Pressefreiheit es Journalisten erlaube, selbst zu entscheiden, welche Details sie veröffentlichen - zumal dann, wenn wie beim Mord an Sedlmayr ein großes öffentliches Interesse bestehe und die Täter selbst um Berichterstattung in eigener Sache gebeten hätten.
Denn 2004 hatten sie die Wiederaufnahme des Verfahrens angestrebt und waren im Zuge dessen selbst an die Medien herangetreten mit der Bitte, erneut über die Einzelheiten zu berichten. Dadurch sei ein Recht auf Vergessenwerden wieder in die Ferne gerückt, so der EGMR.
"Online-Archiv als historisches Gedächtnis"
Dies gelte aber nur, wenn die Berichterstattung nicht gegen ethische Normen verstoße. Ein solcher Verstoß liege etwa dann vor, wenn die Medien bewusst unwahre Tatsachen verbreiteten. An der Wahrhaftigkeit der Berichterstattung bestünden jedoch keine Zweifel, so die Richter.
Zu berücksichtigen sei auch die nur eingeschränkte Verfügbarkeit der Artikel. Denn um das entsprechende Material abrufen zu können, war es teilweise erforderlich, das jeweilige Medium zu abonnieren bzw. für den Abruf zu zahlen.
Mit seinem Urteil befindet sich der EGMR auf einer Linie mit dem einstigen Urteil des BGH. Auch damals wurde dem öffentlichen Interesse an der Berichterstattung der Vorrang gegenüber dem Persönlichkeitsrecht der Täter eingeräumt. Die Spiegel-Verlagsgruppe, deren Online-Portal Spiegel Online u. a. ein Dossier über die Geschichte des Mordes zum Abruf bereitgestellt hatte, begrüßte die Entscheidung. "Die im öffentlichen Interesse liegende Funktion eines Online-Archivs als 'historisches Gedächtnis' einer Gesellschaft bleibt damit erhalten", erklärte ein Sprecher des Verlags.
dpa/tik/LTO-Redaktion
EGMR zum Persönlichkeitsrecht von Straftätern: . In: Legal Tribune Online, 28.06.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/29443 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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