EGMR: Geldstrafe verhältnismäßig
Die Richter bemerkten in ihrer Urteilsbegründung auch, dass dem Gesetz ein jahrelanger Prozess geprägt von kontroversen Debatten vorausgegangen sei. Außerdem sei auch im Europarat, dessen Mitgliedsstaaten die Konvention unterzeichnet haben, bislang kein Konsens in Bezug auf den Umgang mit religiöser Verschleierung gefunden worden.
Darüber hinaus befand die Kammer auch die Sanktionsmaßnahmen, welche von einer Geldstrafe bis zu Gefängnis reichen, für verhältnismäßig. Schließlich sei die Inhaftierung lediglich für Wiederholungstäter gedacht und würden in der Praxis vornehmlich Geldstrafen verhängt. Auch hier sei es dem nationalen Gesetzgeber unbenommen, zu bestimmen, was zum Schutz der demokratischen Gesellschaft nötig sei.
"EGMR hat Überschreitung der Befugnisse des liberalen Staates hingenommen"
Prof. Dr. Felix Ekardt von der Universität Rostock erklärte dazu gegenüber LTO: "In freiheitlichen Demokratien ist die Politik nur für Fragen der Gerechtigkeit zuständig. Was dagegen jeder unter einem guten Leben versteht, bleibt ihm selbst überlassen, weil es die Freiheit anderer nicht tangiert. Gemessen daran hat der EGMR mit seinem Urteil eine Überschreitung der Handlungsbefugnisse des liberalen Staates hingenommen".
Ob eine Mehrheit in Belgien Gesichtsschleier gerne oder weniger gerne sehe, sei unerheblich, so Ekardt. Denn "dann könnte man genauso gut auch Tätowierungen oder Nasenringe verbieten. Etwas anderes ist es, wenn es um Gesichtsschleier in Schulen, Gerichtsverfahren oder ähnlichen Kontexten geht."
Unabhängig davon, ob im vorliegenden Fall ausreichend Gründe für das Verschleierungsverbot sprachen, hätte sich der EGMR daher vertiefter mit den tangierten Rechten der Beschwerdeführerinnen auseinandersetzen müssen, findet Ekardt. Der bloße Verweis auf die nationalstaatliche Kompetenz dagegen dürfte die Bedeutung der EMRK für die Zukunft reduzieren.
Maximilian Amos, EGMR billigt Verschleierungsverbot: . In: Legal Tribune Online, 12.07.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23429 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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