Nach Tötung der kranken Mutter: Drei Jahre Haft für Sohn

12.06.2012

Das LG Braunschweig hat einen 26 Jahre alten Mann zu drei Jahren Haft ohne Bewährung verurteilt, weil er seine seit sieben Jahren im Koma liegende Mutter getötet hatte. Wegen der außergewöhnlichen Umstände erkannte die Kammer auf Totschlag in einem minder schweren Fall.

"Eine gerechte Strafe zu finden, ist sehr schwierig. Hier ist über ein Unglück zu urteilen", sagte der Vorsitzende Richter am Landgericht (LG) Ralf-Michael Polomski.

Nach einem Reitunfall der Mutter im Jahr 2004 sei das Leben aller Beteiligten nie wieder wie zuvor geworden, sagte der Richter. Die 48-Jährige hatte schwere Hirnverletzungen erlitten, war nicht mehr ansprechbar und hatte zahlreiche Leiden. Die seelischen, aber auch die finanziellen Belastungen seien hart zu tragen gewesen. "Aber darf man das Recht in die eigenen Hände nehmen?", fragte Polomski.

"Ich wollte Mama erlösen"

Der Angeklagte hatte das Urteil fast regungslos hingenommen. Nach der Verhandlung äußerte er sich nicht. Zum Prozessauftakt hatte er gesagt: "Ich wollte Mama erlösen." Nach Gesprächen mit dem Heim, der Betreuerin seiner Mutter und mit seinem Stiefvater habe er sich sehr allein gefühlt und irgendwann die Tat als einzigen Ausweg gesehen. "Mir tat es weh, meine Mama so zu sehen und dagegen nichts machen zu können", hatte er gesagt.

"Es ist kein Fall von Sterbehilfe", stellte Polomski klar. Die Frau habe zwar vollständig ihr Bewusstsein verloren, und die Ärzte seien nicht mehr von einer Besserung ausgegangen. Dennoch hätte sie noch viele Jahre leben können. Auch ein straffreier Behandlungsabbruch, bei dem einer Krankheit ihren Lauf gelassen wird, liege nicht vor.

Als Alternative zur Tötung hätte der 26-Jährige einen Antrag auf einen neuen Betreuer seiner Mutter stellen und die Verlegung in ein anderes Heim fordern können. Mühsam und lang, aber vom Gesetz aus gutem Grund so vorgesehen, meinte der Richter.

"Eine Bewährungsstrafe wäre das falsche Signal gewesen"

Auf Totschlag steht eine Haftstrafe von fünf bis 15 Jahren. Im minder schweren Fall sieht das Gesetz ein bis zehn Jahre Haft vor, damit wäre auch Bewährung möglich. "Eine Bewährungsstrafe wäre das falsche Signal gewesen", sagte Polomski. Der Angeklagte habe die Tötung geplant und gewusst, dass er sich strafbar macht. Ein Gutachter hatte ihm in der vorigen Woche volle Schuldfähigkeit attestiert, aber auch gesagt, dass der 26-Jährige noch recht jugendlich für sein Alter sei.

"Das Gericht kann nachvollziehen, dass der Sohn glaubte, dass seine Mutter so nicht leben wollte", sagte er. Da keine Patientenverfügung vorliegt und auch die Befragung von Zeugen keinen verlässlichen Hinweis auf den Willen der Frau gaben, blieb unklar, was die 48-Jährige gewollt hätte. "Im Zweifel muss das Leben erhalten bleiben", betonte er. Das Leben sei das höchste Gut.

"Die Kammer hat in diesem ungewöhnlichen Fall ungewöhnliche Wege beschritten", berichtete der Richter. Um sich ein eigenes Bild zu verschaffen, sei das Gericht in ein Pflegeheim gegangen. "Wir waren sehr erschüttert", sagte er. Es sei ein Versuch gewesen, zu verstehen. Das Schicksal der Patienten und der Angehörigen habe die Kammer sehr bewegt. Die Familien müssten zudem oft monatliche Belastungen von mehreren tausend Euro aufbringen. Hier sei die Solidargemeinschaft gefragt, meinte er.

Ob die Verteidigung in die Revision geht, war nach Prozessende noch offen.

dpa/tko/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

Nach Tötung der kranken Mutter: . In: Legal Tribune Online, 12.06.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6374 (abgerufen am: 23.11.2024 )

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