Fraktionsauflösung im Bundestag: Wie es nach dem Ende der Links­frak­tion wei­ter­geht

von Marie Winzek

14.11.2023

Nun ist es offiziell: Die Linksfraktion im Bundestag hat den Termin ihrer Auflösung beschlossen. Was bedeutet das für das "Bündnis Sahra Wagenknecht" und die verbliebenen Abgeordneten der Linken im Bundestag?

Noch im Oktober hatten Sahra Wagenknecht und ihre Unterstützer angekündigt, die Linksfraktion nicht verlassen zu wollen. In der heutigen Fraktionssitzung hat sich nun der Wille der verbliebenen Linke-Abgeordneten in der Fraktion, die die Mehrheit bilden, durchgesetzt. Die Linksfraktion im Bundestag hat ihre Auflösung zum 6. Dezember beschlossen. Das teilten Fraktionsmitglieder am Dienstag in Berlin mit.

Hintergrund der Parteiauflösung ist der Austritt der früheren Fraktionschefin Sahra Wagenknecht und neun weiterer Abgeordneter aus der Partei "die Linke". Wagenknecht möchte Anfang 2024 eine Konkurrenzpartei gründen. Ihr im Oktober gegründeter Verein "Bündnis Sahra Wagenknecht" (BSW) bereitet dies bereits vor und sammelt Spenden. Ohne das Lager um Wagenknecht verliert die Linksfraktion ihre Mindestgröße von 37 Abgeordneten und muss liquidiert werden.

Dass sich eine Bundestagsfraktion während der laufenden Legislatur auflöst, passierte seit Jahrzehnten nicht mehr, zuletzt 1960 der Deutschen Partei. Fraktionsauflösungen gab es sonst vor allem nach Wahlniederlagen. 2013 wurde die FDP-Fraktion im Bundestag liquidiert, nachdem sie an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterte. 2002 durchlief die Linken-Vorgängerin PDS bereits ein solches Verfahren.

Zwei parlamentarische Gruppen – oder doch nur eine?

Mit der Fraktionsauslösung stellt sich die Frage, wie es für die Abgeordneten im Bundestag weitergeht. Es könnten zwei neue parlamentarische Gruppen entstehen: die verbliebenen 28 Linken-Abgeordneten einerseits und Wagenknecht mit ihren Unterstützern andererseits. 

Dass die verbliebenen Linken künftig als parlamentarische Gruppe weitermachen, steht fest. Linksfraktionschef Dietmar Bartsch hat eine solche Gründung angekündigt. Man werde darauf hinarbeiten, das so schnell wie möglich umzusetzen, sagte er vor der Fraktionssitzung am Dienstag. Eine parlamentarische Gruppe genießt kollektive Rechte sowohl in den Ausschüssen als auch hinsichtlich ihrer sachlichen und personellen Ausstattung. Im Vergleich zu einer Fraktion hat sie jedoch insgesamt weniger parlamentarische Rechte. Zudem erhält sie weniger finanzielle Unterstützung aus der Staatskasse.

Eine ähnliche Ankündigung gab es von Wagenknecht & Co. noch nicht. Ob sich die Abgeordneten des BSW überhaupt als Gruppe zusammenschließen können, sei unklar, meint Staatsrechtler Alexander Thiele. Die GO-BT gibt keine Mindestanzahl für parlamentarische Gruppen vor. Die Entscheidung liege innerhalb der Selbstverwaltungsautonomie des Bundestags, dessen Mehrheit über den Gruppenstatus entscheiden kann. In der Vergangenheit wurden laut Thiele zwei Voraussetzungen für maßgeblich gehalten: Die politischen Ziele der Abgeordneten müssen im Wesentlichen übereinstimmen, und es müssen sich für die potentielle Gruppe mindestens fünf Abgeordnete zusammenfinden. Angesichts des wachsenden Bundestags könnte die Mindestanzahl angehoben werden. Die Chancen des BSW auf den Status als parlamentarische Gruppe stehen mit neun Abgeordneten derzeit gut. Einen Anspruch auf den Zusammenschluss zur Gruppe haben die Abgeordneten aber dennoch nicht.

In zeitlicher Hinsicht steht der Gründung der parlamentarischen Gruppen nichts im Wege. Die endgültige Fraktionsauflösung muss für einen solchen Zusammenschluss nämlich nicht abgewartet werden. Für die Gründung erforderlich bleibt jedoch die Unterstützung der übrigen Fraktionen im Ältestenrat und im Plenum. Zur Zulassung einer Gruppe und zur Bestimmung von deren Rechten braucht es einen Bundestagsbeschluss. Übergangsweise werden die bisherigen Mitglieder der Linksfraktion wohl als Einzelabgeordnete im Bundestag sitzen.

Fraktion wird wie eine Gesellschaft abgewickelt

Eine Fraktionsauflösung könne mit der Auflösung einer Gesellschaft verglichen werden, sagte der Berliner Staatsrechtler Prof. Dr. Alexander Thiele gegenüber LTO. Mit dem Status verliere die ehemalige Fraktion auch ihre Rechtsfähigkeit, und müsse infolgedessen abgewickelt werden.

Konsequenzen hat das für die Vermögenswerte und Mitarbeitenden der Fraktion. Die Linksfraktion erhielt nach Angaben des Bundestags 2022 rund 11,5 Millionen Euro staatlicher Zuwendungen und hatte Personalausgaben von rund 9,3 Millionen Euro. Die Fraktion muss nun allen 108 Mitarbeitern kündigen. Einige von ihnen könnten bei den möglichen neuen parlamentarischen Gruppen einen Job finden.

Weil Mitarbeitende, Räume und Verträge gekündigt werden müssen, kann die Liquidation Jahre dauern. Im Fall der FDP-Fraktion 2013 dauerte das Verfahren nach dem Ausscheiden aus dem Bundestag beinahe dreieinhalb Jahre. Eine solche Abwicklung könne überaus komplex sein, meint auch Prof. Dr. Alexander Thiele. Wann also mit der vollständigen Auflösung der Fraktion zu rechnen ist, bleibt unklar.

dpa/mw/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

Fraktionsauflösung im Bundestag: . In: Legal Tribune Online, 14.11.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53167 (abgerufen am: 18.11.2024 )

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