DAV-Präsident Schellenberg sieht in der Türkei keinen funktionierenden Rechtsstaat. Zur Solidarisierung unterschrieb er ein Freundschaftsabkommen mit der Union der türkischen Rechtsanwaltskammer und kritisierte die Urteile des EGMR.
Vertreter des Deutschen Anwaltsverein (DAV) und der Union der türkischen Rechtsanwaltskammer haben am Samstagabend ein Freundschaftsabkommen in Ankara unterschrieben. Dabei forderte der DAV den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) auf, die Hürden für Verfahren aus der Türkei zu senken. Das geht aus einer Pressemitteilung des DAV hervor.
In dem vom Präsidenten der Union der türkischen Rechtsanwaltskammern Metin Feyzioğlu und dem DAV-Präsidenten Ulrich Schellenberg unterzeichneten Abkommen stellen beide Seiten die Bedeutung einer freien Anwaltschaft für den Rechtsstaat heraus. So heißt es in dem Abkommen unter anderem: Waffengleichheit zwischen Bürger und Staat kann es nur geben, wenn das Recht auf ungehinderte Ausübung der anwaltlichen Tätigkeit garantiert wird.
Anwälte als Rückgrat des Rechtsstaates
"Wir stehen angesichts der schweren Zeiten für die freie Anwaltschaft in der Türkei fest an der Seite unserer türkischen Kolleginnen und Kollegen", sagte Schellenberg bei der Unterzeichnung. "Es bleibt in Europa keinesfalls unbemerkt, wenn – wie zuletzt – erneut 22 Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte in der Türkei festgenommen werden", so der DAV-Präsident weiter. Anwälte seien das Rückgrat des Rechtsstaates – auch und insbesondere in ihrer Rolle als Menschenrechtsverteidiger.
Feyzioğlu hob hervor: "Mit diesem Freundschaftsabkommen machen wir gemeinsam deutlich, welch wichtige Rolle das Recht und die Anwaltschaft für eine funktionierende Gesellschaft haben." Außerdem werde unmissverständlich klar gemacht, dass sich der DAV und die türkische Rechtsanwaltskammer strikt gegen staatliche Eingriffe in die Arbeit der Anwaltschaft aussprechen.
EGMR dürfe sich "nicht hinter Formalien" verstecken
In Ankara forderte der DAV-Präsident zudem, die formellen Anforderungen an türkische Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) nicht über Gebühr zu strapazieren. "Der Europäische Gerichtshof für Menschenrecht sollte sich im Fall der Türkei nicht hinter formellen Anforderungen wie der Rechtswegerschöpfung verstecken", sagte Schellenberg. Wenn die Verfahren vor dem EGMR immer wieder mit der Begründung verworfen würden, in der Türkei hätten die Betroffenen nicht alle Instanzen ausgeschöpft, dann sei das ein fatales Zeichen.
Eine Beschwerde wegen Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) ist beim EGMR nur zulässig, wenn der Beschwerdeführer bestimmte Voraussetzungen erfüllt. Hierzu zählt, dass zunächst der nationale Rechtsweg erschöpft werden muss. Dazu gehört in der Türkei auch das Anrufen und Durchlaufen einer neu eingerichteten Kommission. Diese prüft speziell Verfahren für Fälle, die sich während des in der Türkei verhängten Ausnahmezustands ereigneten. Erst letzte Woche lehnte der EGMR zum vierten Mal eine Beschwerde im Zusammenhang mit dem Putschversuch vom 15. Juli 2016 als unzulässig ab, weil sich die Betroffenen nicht an eben diese Kommission gewandt hätten.
Allerdings muss der nationale Rechtsweg ausnahmsweise nicht erschöpft werden, wenn das unzumutbar erscheint, betont Schellenberg. "Die Türkei ist aus rechtsstaatlicher Sicht nicht mit anderen Ländern in Europa zu vergleichen", sagte er. Dies müsse auch beim EGMR berücksichtigt werden. "Wenn in einem Land innerhalb kürzester Zeit fast ein Drittel aller Richter und Staatsanwälte verhaftet werden und eine freie Anwaltschaft aufgrund von Repressionen faktisch nicht existiert, dann steht die Frage der Unzumutbarkeit des Rechtsweges in einem anderen Lichte", so der DAV-Präsident. Die Betroffenen kämen so einfach nicht zu ihrem Recht.
mgö/LTO-Redaktion
DAV solidarisiert sich mit türkischer Anwaltschaft: . In: Legal Tribune Online, 19.06.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23215 (abgerufen am: 04.11.2024 )
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