NRW-Landesregierung zu Vermummungsverbot: "Feti­sch­masken" beim CSD sind erlaubt

von Dr. Max Kolter

27.07.2023

Bei der CSD-Parade in Recklinghausen im Juni verbot die Polizei das Tragen von Gesichtsmasken. Die NRW-Landesregierung erkennt hier einen Verstoß gegen das Versammlungsrecht und präzisiert die Voraussetzungen für ein CSD-Maskenverbot.

Am Wochenende fand in Berlin wieder der "Christopher Street Day" (CSD) statt, in anderen Ländern auch "Gay Pride" oder "Pride Parade" genannt. An diesem Tag zieht sich eine lange Parade quer durch die Stadt. Musik und Kostüme – oder auch nur mit Accessoires geschmückte Nacktheit – gehören immer dazu. So auch sogenannte Fetischmasken oder Gesichtstücher. Insbesondere Hundemasken sind beliebt. Auch wenn sie harmlos aussehen, können sie versammlungsrechtlich ein Problem sein.

Eine Antwort der von CDU und Grünen geführten nordrhein-westfälischen Landesregierung auf eine kleine Anfrage mehrerer SPD-Abgeordnete wirft nun grundlegende Fragen des Vermummungsverbots auf – jedenfalls für solche Versammlungen, auf denen Gesichtsbedeckungen im Rahmen von Kostümierungen nicht unüblich sind. In dem Papier verweist NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU), der für die Landesregierung federführend auf die Anfrage antwortet, zunächst auf die Rechtsgrundlage des Vermummungsverbots: § 17 Abs. 1 Nr. 1 Versammlungsgesetz NRW (VersG NRW).

Diese in einigen anderen Bundesländern, die ihr Versammlungsrecht selbständig regeln (z.B. Berlin), wortgleiche Vorschrift erlaubt es der Polizei, Masken zu verbieten, "die zur Identitätsverschleierung geeignet und den Umständen nach darauf gerichtet sind, eine zu Zwecken der Verfolgung einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit durchgeführte Feststellung der Identität zu verhindern".

Pauschales Maskenverbot ist unzulässig

Während die objektive Eignung zur Identitätsverschleierung bei einer Hundemaske, die das ganze Gesicht bedeckt, auf der Hand liegt, bereitet die subjektive Komponente Schwierigkeiten: Sind die "Fetisch-Masken" wirklich "darauf gerichtet", eine Identitätsfeststellung zum Zwecke der Strafverfolgung zu verhindern? In dem Fall, der Anlass zu der Kleinen Anfrage gab, darf das bezweifelt werden.

Hier hatte die Polizei laut Antwortschreiben den Teilnehmern des CSD im nordrhein-westfälischen Recklinghausen das Tragen von Tiermasken oder bedruckten Gesichtstüchern untersagt. Die Masken hätten an jenem 3. Juni nur noch auf dem Kopf, also stirnaufwärts, getragen werden dürfen, die Halstücher seien während des Aufzuges komplett untersagt gewesen; erst zur Abschlusskundgebung hätten diese wieder angelegt werden dürfen. Bereits 2018 in Essen und 2019 in Aachen hatte die Polizei beim CSD ähnliche Verbote ausgesprochen.

Solche für alle Versammlungsteilnehmer geltenden Pauschalverbote erklärte das NRW-Innenministerium in seiner Antwort für unzulässig: "Es ist bekannt, dass in dem in der Kleinen Anfrage […] herangezogenen Fall […] die Einsatzkräfte irrtümlich zunächst nur das Tatbestandsmerkmal der objektiven Eignung zur Identitätsverschleierung geprüft und bejaht hatten. Die weitere Prüfung des Vorliegens einer Identitätsverhinderungsabsicht ergab sodann, dass diese in dem konkreten Fall des Maskentragens nicht bejaht werden konnte."

Wollen CSD-Teilnehmer mit Hundemasken Strafverfolgung verhindern?

Und doch zogen am Donnerstag viele Medien aus dem Papier den Schluss, es gebe "kein grundsätzliches Recht auf Fetisch-Maske beim CSD". Das liegt daran, dass die Antwort der Landesregierung eine Hintertür für ein Maskenverbot offenließ. Nur Pauschalverbote seien gemessen an den Voraussetzungen des Vermummungsverbotes unzulässig, in Einzelfällen könne aber eine Absicht zur Identitätsverschleierung womöglich angenommen werden. Dies müsse aber durch die zuständigen Behörden "gerichtsfest bejaht werden können".

Offen lässt die Landesregierung aber, wie ein solcher Fall aussehen soll. Ein Fall, in dem die Polizei aus dem äußerlichen Verhalten tanzender oder protestierender queerer Menschen "gerichtsfest" die Absicht folgern könnte, sie wollten unerkannt Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten begehen oder der Verfolgung für bereits begangene Taten entgehen.

Experte hält Verbot im Einzelfall für "abseitig"

Klaus F. Gärditz, Professor für Verwaltungsrecht an der Uni Bonn, hält solche Szenarien für "abseitig": "Ich brauche eine Gefahrenprognose, dass unter dem Schutz der Anonymität die öffentliche Sicherheit und Ordnung in hinreichend gewichtiger Weise verletzt werden soll. Mir fehlt die Fantasie, wie das bei heiterem Tanzen auf dem CSD geschehen soll."

Angesichts dessen kann man das Papier von Innenminister Reul im Tenor durchaus anders lesen als einige Medien es am Donnerstag taten. Rechtmäßige Maskenverbote gegen CSD-Teilnehmer dürften äußerst selten sein. In seiner Antwort betont Reul auch vermehrt die Bedeutung der hier betroffenen Grundrechte: des Rechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit aus Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG), insbesondere in seiner Ausprägung als Allgemeines Persönlichkeitsrecht Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG sowie der Versammlungsfreiheit gemäß Art. 8 GG.

Vor dem Hintergrund dieser Grundrechte dürften die für NRW und für Länder mit wortgleichen Vorschriften (wie Berlin) aufgestellten Grundsätze auch in solchen Bundesländern gelten, in denen das Vermummungsverbot nicht an eine Absicht zur Verhinderung der Strafverfolgung geknüpft ist – nach Auffassung von Rechtsprofessor Gärditz jedenfalls dann, "wenn ein spezifischer politischer Aussagegehalt gerade über die Maskierung erfolgt". Dann seien die polizeilichen Befugnisnormen "verfassungskonform teleologisch einzuschränken".

CSD-Teilnehmer dürfen daher (auch) künftig ihre Hundemasken aufziehen und den CSD so begehen, wie sie es wünschen: als Form des politischen Protests oder als Tag des Tanzens und des Feierns.

Mit Material der dpa

Zitiervorschlag

NRW-Landesregierung zu Vermummungsverbot: . In: Legal Tribune Online, 27.07.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52360 (abgerufen am: 19.11.2024 )

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