Arbeitnehmer können Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen für sieben Tage erhalten, ohne einen Arzt gesehen haben zu müssen. Den Beweiswert des gelben Scheins erschüttert das nicht.
Patienten mit leichten Erkrankungen der oberen Atemwege können nach telefonischer Rücksprache mit ihrem Arzt eine Bescheinigung auf Arbeitsunfähigkeit (AU) bis maximal sieben Tage ausgestellt bekommen. Sie müssen dafür nicht die Arztpraxen aufsuchen. Das haben die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und der GKV-Spitzenverband am Montag in Berlin vereinbart.
Arbeitsrechtler stellten in den sozialen Medien sogleich in Frage, welchen Beweiswert die ärztliche AU noch haben könne, wenn der Arzt den Patienten nicht gesehen und untersucht habe. Immerhin verpflichtet eine AU den Arbeitgeber zur Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Bei Zweifeln an einer Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers kann der Arbeitgeber etwa Überwachungen veranlassen, dafür besteht bei einer ärztlichen AU-Bescheinigung in aller Regel kein Anlass. Der Arbeitgeber braucht aber Anhaltspunkte, um die Arbeitsunfähigkeit des Mitarbeiters arbeitsrechtlich relevant erschüttern zu können.
"Eine vom Arzt ausgestellte AU hat einen extrem hohen Beweiswert und daran ändert sich mit der Vereinbarung der Kassen gar nichts", sagt Kathrin Vossen, Partnerin und Fachanwältin für Arbeitsrecht bei Oppenhoff & Partner. Einst sei es mal untersagt gewesen, eine AU ohne persönlichen Kontakt auszustellen. "Dieses Fernbehandlungsverbot ist aber bereits seit Mai 2018 gelockert", erklärt die Rechtsanwältin. Dafür sei seinerzeit § 7 Abs. 4 Musterberufsordnung für Ärzte (MBO-Ä) geändert worden, um die telemediale Beratung und Behandlung sowie die digitale Kommunikation von Patienten etwa im ländlichen Raum zu ermöglichen.
"Unverändert steht auf einer ärztlichen AU jedoch weder ein Befund noch ob der Arzt den Patienten persönlich gesehen hat", so Vossen weiter. "Es wäre also ein Irrglaube zu denken, dass allein die Mitteilung der KBV und des GKV, bei den Erkrankungen der oberen Atemwege den Ärzten und Patienten auch eine telefonische Beratung zu ermöglichen, den hohen Beweiswert erschüttert."
Mit der Krankmeldung per WhatsApp über ein Hamburger Startup ist die Vereinbarung zwischen den Verbänden übrigens nicht zu vergleichen. Bei dem Unternehmen, das mit einer statistischen Krankschreibungsquote von "nahezu 100 Prozent" wirbt, erfolgt die Untersuchung zwar ebenfalls per Online-Befragung. "Die Bescheinigung einer AU nach einer vermutlich wohnortnahen, tatsächlich erfolgten Beratung per fernmündlicher oder digitaler Kommunikation mit dem Hausarzt dürfte insofern aber durchaus anders wiegen", so Vossen. Nur eines ist gleich: Die AU erreicht den Patienten auch noch per Post und er muss sei sie selbst an den Arbeitgeber und die Krankenkasse weiterleiten.
"Das wird sich zum 1. Januar 2022 übrigens ändern", erklärt Vossen. Mit dem Bürokratieentlastungsgesetz III sei unter anderem beschlossen worden, die Vorlage des gelben Scheins im Krankheitsfall durch den Arbeitnehmer bei seinem Arbeitgeber zukünftig grundsätzlich entfallen zu lassen. "Der Arbeitgeber soll dann bei der zuständigen Krankenkasse eine elektronische Arbeitsunfähigkeitsmeldung abrufen können", sagt die Anwältin. Ursprünglich sei bereits der 1. Januar 2021 für die Änderungen in den Blick genommen worden. Damit sich jedoch alle Beteiligten organisatorisch und technisch darauf besser vorbereiten können, wurde der Termin auf 2022 verschoben.
Tanja Podolski, Telefonische Untersuchung von Arbeitnehmern: . In: Legal Tribune Online, 10.03.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/40749 (abgerufen am: 17.11.2024 )
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