Kein Rückenwind aus Karlsruhe für die Ampel: Richtervorlagen von drei Amtsgerichten, die die Cannabis-Strafvorschriften im BtMG als verfassungswidrig ansahen, sind unzulässig. Das entschied das BVerfG.
Nicht nur in der Cannabis-Community, auch bei Politiker:innen der Ampel dürfte die Enttäuschung groß sein: Erst am Donnerstag hatte das Bundesgesundheitsministerium (BMG) den Referentenentwurf eines Cannabisgesetzes (CanG) in die Länder- und Verbändeanhörung gegeben. Der Entwurf, auf den sich die Ressorts der Bundesregierung nach zähem Ringen verständigt hatten, bedeutet einen ersten Schritt in Richtung Entkriminalisierung von Cannabiskonsument:innen.
Doch wenige Tage später gibt es nun einen leichten Dämpfer aus Karlsruhe oder jedenfalls nicht den erhofften Rückenwind. Denn das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) sieht keinen Anlass, seine Rechtsprechung in Sachen Cannabis aus den 90er Jahren zu ändern. Es hat entsprechende Richtervorlagen für unzulässig erklärt (Beschl. v. 14.06.2023, Az. 2 BvL 3/20, 2 BvL 8/23, 2 BvL 2/23, 2 BvL 1/23, 2 BvL 14/22, 2 BvL 13/22, 2 BvL 12/22, 2 BvL 5/22, 2 BvL 4/22, 2 BvL 3/22, 2 BvL 7/21, 2 BvL 5/21, 2 BvL 14/20). Mit der Frage, ob die geltenden Strafvorschriften im BtMG (u.a. die §§ 29 Abs.1 Nr. 3, 29a und 31a BtMG), die Cannabis-Produkte betreffen, verfassungswidrig sind, beschäftigte sich das Gericht in aller Tiefe erst gar nicht. Dem BVerfG lagen hierzu Vorlagen des Amtsgerichts (AG) Bernau, des AG Münster sowie des AG Pasewalk vor. Ergangen ist der Beschluss des Gerichts als Kammerentscheidung, d.h. drei Richter:innen entschieden einstimmig. Berichterstatterin für das Verfahren war BVR Sibylle Kessal-Wulf.
Die drei Amtsgerichte hatten in ihren 13 Aussetzungs- und Vorlagebeschlüssen moniert, dass strafbewehrte Cannabisverbot greife unverhältnismäßig in eine Vielzahl von Grundrechten ein, z.B. in die durch Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) geschützte allgemeine Handlungsfreiheit. Außerdem lasse sich die Strafbarkeit des Umgangs mit dem Rauschmittel Cannabis vor dem Hintergrund der Legalität des Rauschmittels Alkohol nicht rechtfertigen und verstoße daher gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Schließlich genügten sie auch nicht dem Bestimmtheitsgrundsatz nach Art. 103 Abs. 2 GG, da nicht ersichtlich sei, wann von einer "geringen Menge zum Eigenbedarf" auszugehen sei, die nach § 31a BtMG die Einstellung des Strafverfahrens ermögliche.
BVerfG: Erhöhte Begründungsanforderungen nicht erfüllt
Laut BVerfG fehlte es den inhaltlich nur geringfügig voneinander abweichenden Vorlagen bereits an der Darlegung der Entscheidungserheblichkeit aller vorgelegter Strafnormen für das jeweilige Ausgangsverfahren, heißt es in der am Dienstag veröffentlichten Pressemitteilung. Im Übrigen genügten sie nicht den erhöhten Begründungsanforderungen, die an eine erneute Vorlage zu stellen seien. Es fehle, so das BVerfG, an einer substantiierten Darlegung rechtserheblicher Änderungen der Sach- und Rechtslage, welche geeignet seien, eine erneute verfassungsgerichtliche Prüfung der mit Beschluss des BVerfG vom 9. März 1994 entschiedenen Vorlagefragen zu veranlassen.
Das BVerfG hatte in seiner Entscheidung 1994 das Festhalten an der Strafbewehrtheit von Cannabis ausführlich begründet. Die Einordnung von Cannabis als Betäubungsmittel solle die Gesundheit sowohl des Einzelnen als auch der Bevölkerung im Ganzen vor den von Cannabisprodukten ausgehenden Gefahren schützen und vor allem Jugendliche vor der Abhängigkeit von Betäubungsmitteln bewahren. Außerdem soll das Betäubungsmittelstrafrecht das soziale Zusammenleben vor den Gefahren schützen, die von sozialschädlichen Wirkungen des Umgangs mit Drogen, auch des Umgangs mit der sogenannten weichen Droge Cannabis, ausgehen.
Nun stellt das Gericht klar: Auch wenn inzwischen andere wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Gefährlichkeit von Cannabis vorlägen, ändere das nichts daran, dass der mit der Einordnung als Betäubungsmittel verbundene Zweck vor der Verfassung Bestand habe. Zwar habe sich der Cannabiskonsum als weit weniger gefährlich erwiesen, als es der Gesetzgeber noch bei Erlass des Betäubungsmittelgesetzes angenommen habe. Die Annahme gänzlich fehlender Gefährlichkeit von Cannabis sei aber weiterhin ungesichert.
BVerfG: Kiffen gehört nicht zum "unbeschränkbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung"
Erneut lehnt das Gericht auch ein "Recht auf Rausch", gestützt auf die in Art. 2 Abs. 1 GG geschützte allgemeine Handlungsfreiheit, ab. Es erinnert an die Entscheidung von 1994: Danach gehöre der Umgang mit Drogen, insbesondere das Sichberauschen, "nicht zum unbeschränkbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung".
Das AG Bernau hatte das BVerfG bereits 2002 mit einer Richtervorlage angerufen, um prüfen zu lassen, ob das Cannabisverbot mit dem GG vereinbar ist. Das BVerfG hielt die Richtervorlage seinerzeit für unzulässig; unter anderem mit der Begründung, dass es selbst an eine frühere, eigene Entscheidung von 1994 nach § 31 Abs. 1 Bundesverfassungsgerichtsgesetz gebunden sei (Beschl. v. 29.06.2004, Az. 2 BvL 8/02). Das AG Bernau habe damals keine neuen Tatsachen dargelegt, "die geeignet seien, eine von der früheren Erkenntnis des Bundesverfassungsgerichts abweichende Entscheidung zu ermöglichen", hieß es 2004. Und so blieb es bei dem, was das BVerfG eben 1994 sehr zum Missmut aller Cannabis-Liebhaber entschieden hatte: Das Cannabis-Verbot ist verfassungskonform (Beschl. v. 09.03.1994, Az. 2 BvL 43/92). An dieser Meinung des Gerichts hat sich im Jahr 2023 nichts geändert.
Konsequenzen für das Vorhaben der Ampel?
Wie das Gericht zum geplanten Legalisierungsvorhaben der Ampel steht, lässt es in seinem Beschluss nur am Rande durchblicken. Es sei Sache des demokratisch legitimierten Gesetzgebers, Strafnormen gesellschaftlichen Entwicklungen anzupassen. Rechtspolitische Forderungen nach einer "besseren Cannabispolitik" seien aber generell nicht geeignet, "die Entscheidung des Gesetzgebers im Hinblick auf ihre Erforderlichkeit zur Erreichung des mit ihnen verfolgten Zwecks verfassungsrechtlich tragfähig in Zweifel zu ziehen". Gesicherte kriminologische Erkenntnisse, die geeignet wären, den Gesetzgeber zu einer bestimmten Behandlung einer von Verfassung wegen gesetzlich zu regelnden Frage zu zwingen oder doch die getroffene Regelung als mögliche Lösung auszuschließen, zeigten die Vorlagen nicht, so die Kammer.
Weiter ließ das Gericht mit Verweis auf seine Entscheidung von 1994 auch den Vorhalt der Amtsgerichte nicht gelten, die rechtlich unterschiedliche Behandlung von Alkohol und Cannabis verstoße gegen Art.3 GG: "Das Bundesverfassungsgericht hat es als verfassungsrechtlich zulässig erachtet, im Sachbereich des Betäubungsmittelstrafrechts anzunehmen, dass für die unterschiedliche Regelung des Umgangs mit Cannabisprodukten einerseits und mit Alkohol und Nikotin andererseits Gründe von solcher Art und solchem Gewicht vorhanden sind, die die unterschiedlichen Rechtsfolgen für die Betroffenen rechtfertigen." Unter anderem habe der Senat darauf abgestellt, dass der Gesetzgeber den Genuss von Alkohol wegen der herkömmlichen Konsumgewohnheiten in Deutschland und im europäischen Kulturkreis nicht effektiv unterbinden könne.
Auch die Entwicklungen in anderen Staaten lässt das BVerfG im Hinblick auf die Bewertung der Richtervorlagen kalt: "Liberalisierungstendenzen in anderen Staaten oder die rechtspolitische Diskussion der Entkriminalisierung in der Bundesrepublik Deutschland stellen (...) keine rechtserheblichen Änderungen der Sach- und Rechtslage dar, die geeignet wären, die tragenden Erwägungen des Bundesverfassungsgerichts zur prozessualen Lösung verfassungsrechtlich durchgreifend in Zweifel zu ziehen."
Sympathie für die Entkriminalisierung oder gar die Legalisierung von Cannabis klingt anders.
Dieser Beitrag wird am Tag der Veröffentlichung laufend aktualisiert.
* Bildunterschrift geändert am 11.07.2023, 11:50 (Red.).
BVerfG entscheidet über Richtervorlagen: . In: Legal Tribune Online, 11.07.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52206 (abgerufen am: 15.11.2024 )
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