Das staatliche Doping von Leistungssportlern in der ehemaligen DDR stellt weder "politische Verfolgung" noch einen "Willkürakt" dar. Deshalb erhalten zwangsgedopte Sportler keine Entschädigung, entschied jetzt das BVerwG.
In der ehemaligen DDR waren Hochleistungs- und Nachwuchssportler im staatlichen Auftrag systematisch gedopt worden. Mit dem "Staatsplanthema 14.25" verfolgte die DDR ab 1974 ein staatlich gelenktes Dopingprogramm. Um in internationalen Wettkämpfen zu bestehen, erhielten Leistungssportler von Trainern und Sportärzten Anabolika und andere leistungssteigernde Substanzen – oftmals ohne das Wissen der Sportler.
Am Mittwoch ging es vor dem Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) um einen solchen Fall: Die klagende Frau war in den Jahren 1968 bis 1973 als damals zwölf- bis 17-Jährige in der ehemaligen DDR Leistungssportlerin im Kanufahren. Sie bekam in dieser Zeit verschiedene Dopingsubstanzen verabreicht, über genaue Dosierungen und Wirkstoffe ist aber nichts Näheres bekannt; vermutet wird in ihrem Fall der Einsatz von Oral-Turinabol und Steroiden. Dies führte zu erheblichen und bis heute anhaltenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen, unter anderem Nierenproblemen, einem Schlaganfall und einem unheilbaren Immundefekt. Die klagende Ex-Leistungssportlerin begehrt deshalb verwaltungsrechtliche Rehabilitierung als Opfer des DDR-Staatsdopings nach dem verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetz (VwRehaG).
Das für den Antrag zuständige Ministerium des Innern und für Kommunales des Landes Brandenburg hatte den entsprechenden Antrag auf verwaltungsrechtliche Rehabilitierung abgelehnt. Auch das Verwaltungsgericht (VG) Potsdam wies die Klage ab (Urt. v. 24.04.2023, Az. 11 K 2576/21). Die Ex-Leistungssportlerin habe keinen Anspruch auf verwaltungsrechtliche Rehabilitierung wegen des DDR-Staatsdopings.
Nun hat das BVerwG in Leipzig entschieden und sich der Rechtsauffassung des VG Potsdam angeschlossen (Urt. v. 27.03.2024, Az.: 8 C 6.23).
Keine politische Verfolgung, keine Willkür
Nach § 1 Abs. 2 VwRehaG kommt eine Rehabilitierung nur in Betracht, wenn eine Maßnahme in schwerwiegender Weise gegen die Prinzipien der Gerechtigkeit, der Rechtssicherheit oder der Verhältnismäßigkeit verstoßen und der politischen Verfolgung gedient oder einen Willkürakt im Einzelfall dargestellt hat. Zwar habe die heimliche Verabreichung von Dopingsubstanzen, deren gesundheitsschädigende Wirkung den staatlichen Stellen der DDR bekannt war, in schwerwiegender Weise gegen das Prinzip der Verhältnismäßigkeit verstoßen, so das BVerwG. Die Maßnahme habe jedoch nicht der politischen Verfolgung gedient und auch keinen Willkürakt im Einzelfall dargestellt.
Letzteres setze voraus, dass die Maßnahme von der Tendenz und Absicht getragen ist, ihren Adressaten bewusst zu benachteiligen. Das folge aus der Gesetzesbegründung und dem Zweck des Gesetzes. Der Gesetzgeber sei davon ausgegangen, dass zu dem objektiven Erfordernis eines schwerwiegenden Verstoßes die subjektive Zielrichtung hinzutreten muss, dass die Maßnahme der politischen Verfolgung gedient hat oder der Betroffene bewusst gegenüber vergleichbaren Personen diskriminiert worden ist.
An einer solchen gezielten Diskriminierungsmaßnahme fehlt es nach Auffassung der Leipziger Richter. Den später erlassenen Dopingopfer-Hilfegesetzen, die eine finanzielle Hilfe lediglich aus humanitären und sozialen Gründen gewähren, liege ebenfalls die Annahme zugrunde, dass ein Rechtsanspruch der Opfer staatlichen Dopings nicht besteht.
Das BVerwG weist am Ende noch auf Folgendes hin: Es sei Sache des Gesetzgebers, zu entscheiden, ob und inwieweit er die Opfer staatlichen Dopings in der DDR in die Entschädigungsregelungen des VwRehaG einbezieht. Eine Erweiterung des Kreises der Anspruchsberechtigten durch das BVerwG überschritte dagegen die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung.
Damit hat das BVerwG bundesweit für Klarheit gesorgt, denn die Frage war bislang von Gerichten sehr unterschiedlich behandelt worden.
Wird jetzt der Gesetzgeber aktiv?
Nachdem das Gericht am Mittwoch darauf hingewiesen hat, es sei Sache des Gesetzgebers, wie die Opfer des staatlichen Zwangsdopings zu entschädigen sind, bleibt abzuwarten, ob der Bundes- oder auch die Landesgesetzgeber entsprechend tätig werden.
Für die Landesregierung Thüringen beispielsweise hat die Aufarbeitung des SED-Unrechts hohen symbolischen Wert – und das schon vor dem Urteil des BVerwG am Mittwoch: Die Landesregierung legte hierzu am Dienstag den sechsten Bericht der rot-rot-grünen Landesregierung zur Aufarbeitung des SED-Unrechts in Thüringen vor, der fordert, dass Opfer leichter Entschädigungen erhalten sollen.
Bei der Aufarbeitung des Unrechts zu DDR-Zeiten geht es in den nächsten Jahren aus Sicht der Thüringer Landesregierung darum, Betroffenen einfacher Zugang zu staatlichen Entschädigungsleistungen zu verschaffen. Für viele Opfer des SED-Regimes sei es noch immer sehr schwer nachzuweisen, dass ihre aktuellen gesundheitlichen Probleme unmittelbar mit dem Unrecht zu tun hätten, das damals widerfahren sei, sagte Thüringens Kulturstaatssekretärin Tina Beer am Dienstag in Erfurt. Ohne einen solchen Nachweis hätten sie aber keinen Anspruch auf Entschädigungs- oder Ausgleichszahlungen.
Unter anderem bei DDR-Doping-Opfern spielten solche Beweisfragen bis heute eine große Rolle, sagte Beer. Ob es gelingen werde, für sie in Zusammenarbeit mit dem Bund in Zukunft Erleichterungen zu erzielen, werde sich erst in der Zukunft zeigen.
dpa/cho/LTO-Redaktion
BVerwG zum Zwangsdoping in der DDR: . In: Legal Tribune Online, 27.03.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54221 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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