Wenn absehbar ist, dass die Stickstoffdioxid-Grenzwerte bald eingehalten werden, können Diesel-Fahrverbote unverhältnismäßig sein. Dies hat das BVerwG im Falle des Reutlinger Luftreinhalteplans entschieden.
Wenn nach einer Prognose auf hinreichend sicherer Grundlage der Grenzwert für Stickstoffdioxid in Kürze eingehalten wird, kann ein Verkehrsverbot für Dieselfahrzeuge unverhältnismäßig sein. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in Leipzig am Donnerstag entschieden und damit ein Diesel-Fahrverbot in Reutlingen abgewendet (Urt. v. 27.02.2020, Az. 7 C 3.19).
Geklagt hatte - wie in zahlreichen anderen Städten auch - die Deutsche Umwelthilfe (DUH). Sie hatte geltend gemacht, dass die Grenzwerte in der baden-württembergischen Stadt Reutlingen bis in das Jahr 2020 hinein überschritten worden seien und beanspruchte eine weitere Fortschreibung des zuletzt 2018 überarbeiteten Luftreinhalteplans der Stadt.
In der Vorinstanz hatte der Verwaltungsgerichtshof in Mannheim im März 2019 geurteilt, dass Diesel-Fahrverbote notwendig seien, um in der Kommune so schnell wie möglich die Einhaltung des Stickstoffdioxid-Grenzwerts (NO2) zu gewährleisten. Er liegt bei 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft im Jahresmittel.
Fahrverbot muss nicht zwingend vorgesehen werden
Gegen das VGH-Urteil hatten das Land Baden-Württemberg und die Stadt Revision eingelegt. Sie argumentieren, dass die NO2-Belastung auch ohne Fahrverbote stetig gesunken sei und der Grenzwert einer Prognose zufolge in diesem Jahr unterschritten werde.
Das BVerwG hielt das Fahrverbot für unverhältnismäßig und gab der Revision statt. Das Dieselfahrverbot sei nicht zwingend im Luftreinhalteplan vorzusehen, hieß es in einer Gerichtsmitteilung. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sei sowohl bei der Anordnung von Maßnahmen zur Einhaltung der Grenzwerte als auch bei deren Ausgestaltung zu beachten. Ein Dieselfahrverbot könne demnach insbesondere dann unverhältnismäßig sein, wenn die baldige Einhaltung des Grenzwerts absehbar ist. Die Bundesrichter gaben der Stadt und dem Land Baden-Württemberg trotzdem auf, den
Luftreinhalteplan zu überarbeiten, weil er Prognosefehler aufweise.
Aus der jüngst in Kraft getretenen Vorschrift des § 47 Abs. 4a des Bundes-Immissionsschutzgesetz ergebe sich laut BVerwG nichts anderes. Nach der Vorschrift kommen Fahrverbote "in der Regel" nur dort in Betracht, wo mehr als 50 Mikrogramm NO2 pro Kubikmeter Luft gemessen werden. Damit wollte die schwarz-rote Bundesregierung die Folgen von Fahrverboten in deutschen Städten möglichst geringhalten. Die Mannheimer VGH-Richter sahen das jedoch kritisch. Das Unionsrecht gehe vor, maßgeblich sei also der EU-Grenzwert von 40 Mikrogramm.
acr/LTO-Redaktion
mit Materialien der dpa
BVerwG zum Luftreinhalteplan in Reutlingen: . In: Legal Tribune Online, 27.02.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/40527 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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