BVerwG zu erkennungsdienstlicher Behandlung: Fin­ger­ab­drücke für später

von Maximilian Amos

20.08.2018

Auch wenn jemand nicht (mehr) Beschuldigter in einem Ermittlungsverfahren ist, darf die Polizei gegen dessen Willen seine Fingerabdrücke nehmen. Es könnte ja sein, dass sie später mal gebraucht werden, so das BVerwG.

Erkennungsdienstliche Behandlungen sind für Beschuldigte in einem Strafverfahren regelmäßig überaus unangenehm und stellen einen nicht unerheblichen Eingriff in ihre Rechte dar. Doch auch nach Wegfall der eigentlichen Beschuldigteneigenschaft kann die Polizei erkennungsdienstliche Maßnahmen nach der Strafprozessordnung (StPO) durchführen. Das hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) mit nun veröffentlichtem Urteil entschieden (Urt. v. 27.06.2018, Az. 6 C 39.16). Die einschlägige Vorschrift erlaube eine weite Auslegung des Beschuldigtenbegriffs, da ihr Zweck nicht im konkreten Ermittlungsverfahren begründet sei.

In dem konkreten Fall ging es um einen Mann, der schon mehrfach auffällig geworden war: Seit 2000 hatte er eine lange Liste an Verurteilungen u. a. wegen Unterschlagung, Betrugs, Fahrens ohne Fahrerlaubnis, Körperverletzung und illegalen Waffenbesitzes angesammelt. Als er wieder einmal – in diesem Fall wegen Nötigung – ins Visier der Ermittler geraten war, ordnete die Polizeidirektion sein Erscheinen auf der Wache an, um Fotos und Fingerabdrücke sowie eine detaillierte Personenbeschreibung von ihm anzufertigen. Hiergegen erhob er Widerspruch, der mit Bescheid vom 13. September 2012 zurückgewiesen wurde. Zwischenzeitlich war er in eben dieser Sache vom Amtsgericht rechtskräftig zu einer Geldstrafe veurteilt worden.

Genau hier lag der Knackpunkt des Falls, den die Leipziger Richter nun entschieden: Beim Erlass des Widerspruchsbescheids war der Mann schon gar nicht mehr Beschuldigter. Genau dies fordert aber § 81b StPO, der zwei Varianten vorsieht, unter denen die erkennungsdienstliche Behandlung bei einem Beschuldigten durchgeführt werden kann: Es muss entweder für die Zwecke der Durchführung des Strafverfahrens oder für die Zwecke des Erkennungsdienstes notwendig sein. Die Polizei stützte sich hierbei auf letzteres.

Anknüpfungspunkt ist letzte Verwaltungsentscheidung

Anknüpfungspunkt für die Rechtmäßigkeit behördlichen Handelns ist aber grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung, hier also des Widerspruchsbescheids. Aus diesem Grund wehrte sich der zwischenzeitlich Verurteilte mit einer Klage vor dem Verwaltungsgericht gegen den Widerspruchsbescheid, da er sich in seinem Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt sah.

Sowohl in erster als auch in zweiter Instanz hatte er damit keinen Erfolg. Nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts (OVG) ist es ausreichend, dass der Mann im Zeitpunkt der Anordnung Beschuldigter in einem Strafverfahren war.  Zudem biete die Vorgeschichte des Mannes "nach kriminalistischer Erfahrung Anhaltspunkte für die Annahme, der Beschuldigte könne in den Kreis Verdächtiger einer noch aufzuklärenden anderen strafbaren Handlung einbezogen werden und die erkennungsdienstlichen Unterlagen könnten die dann zu führenden Ermittlungen fördern". Auch die zuletzt erfolgte Verurteilung wegen Nötigung rechtfertige es, von einer Wiederholungsgefahr auszugehen.

In der Revision stimmte nun auch das BVerwG zu, die polizeiliche Maßnahme aufrecht zu erhalten, und wies das Vorbringen des Betroffenen zurück. Dabei äußerte sich der 6. Senat detailliert zum Beschuldigtenbegriff im Strafverfahren.

Unterschiedlicher Beschuldigtenbegriff innerhalb einer Norm

Streng genommen war der Mann nicht einmal zur Zeit der Anordnung noch Beschuldigter, da hier bereits öffentlich Klage gegen ihn erhoben worden war, was ihn gemäß § 157 StPO zum Angeschuldigten im strafprozessrechtlichen Sinne machte. In der Rechtsprechung des Gerichts zu § 81b 2. Alt. StPO werde aber der weite Beschuldigtenbegriff als Oberbegriff zugrunde gelegt, der die verschiedenen Phasen des Ermittlungs- und Strafverfahrens umfasse und damit auch den Angeschuldigten und Angeklagten betreffe, urteilte das BVerwG.

Auch die Tatsache, dass der Mann vor Erlass des Widerspruchsbescheids rechtskräftig verurteilt worden und somit jedenfalls zu diesem Zeitpunkt nicht mehr Beschuldigter gewesen war, schade der behördlichen Entscheidungsgrundlage nicht, so die Leipziger Richter. Als Begründung führten sie aus, man müsse zwischen den beiden Alternativen in der Norm unterscheiden: Die erste diene der strafrechtlichen Ermittlung in dem konkreten Fall, die zweite hingegen "dient vielmehr – ohne unmittelbaren Bezug zu einem konkreten Strafverfahren – der Strafverfolgungsvorsorge durch Bereitstellung sächlicher Hilfsmittel für die Erforschung und Aufklärung von Straftaten als der Kriminalpolizei durch § 163 StPO zugewiesener Aufgabe".

Damit entfernte sich das Gericht vom Wortlaut der Norm, der klar von der Beschuldigteneigenschaft des Betroffenen ausgeht. Zwischen dieser und dem Ziel der Maßnahme nach § 81b 2. Alt. StPO bestehe aber kein unmittelbarer Zweckzusammenhang, befand der Senat. Die Voraussetzung der Beschuldigteneigenschaft besage lediglich, dass die Anordnung nicht völlig beliebig und ohne jeden Anknüpfungspunkt getroffen werden könne, sondern nur anlässlich eines Ermittlungsverfahrens. Andauern müsse dieses aber nicht mehr.

BVerwG weicht verwaltungsrechtlichen Grundsatz auf

Anders als vom Betroffenen moniert stehe dem auch nicht der Grundsatz der Einheit des Verwaltungsverfahrens entgegen, so das Gericht. Aus der vollen Prüfungskompetenz der Widerspruchsbehörde nach § 68 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) folge lediglich als Grundsatz, dass die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung gelte. Diesen weichte man aber sogleich auf, um für § 81b 2. Alt. StPO eine Sonderregel zu statuieren: Schließlich gebiete dessen Zweck die damit einhergehenden Abkoppelung der Beschuldigteneigenschaft vom konkreten Strafverfahren, "dass der Betroffene nur bei Anordnungserlass Beschuldigter gewesen sein" müsse.

Die Maßnahme verletzt den Mann in den Augen des BVerwG auch nicht in seinem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, da sie zur Vorsorge für künftige Ermittlungen notwendig gewesen sei und somit dem verfassungsrechtlichen Übermaßverbot genüge. Dies sei der Fall, soweit Anhaltspunkte für die Annahme bestünden, dass der Betroffene künftig wieder mit guten Gründen als Verdächtiger anderer Straftaten in Betracht gezogen werden könnte und die erkennungsdienstlichen Unterlagen den Ermittlungen dann förderlich sein könnten.

Zitiervorschlag

BVerwG zu erkennungsdienstlicher Behandlung: . In: Legal Tribune Online, 20.08.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/30429 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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