Wer selbstbestimmt sterben will, dem muss das auch faktisch möglich sein, entschied 2020 das BVerfG. Dennoch erkannte das BVerwG nun keinen Anspruch Betroffener auf Erlaubnis zum Erwerb von Suizidmedikamenten an.
Harald M. leidet an Multipler Sklerose, Hans-Jürgen B. an einer schweren Herzerkrankung. Beide wollen selbstbestimmt im Kreise ihrer Familie aus dem Leben scheiden. Das wird so nicht möglich sein. Denn das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat beiden Klägern am Dienstagmorgen keinen Anspruch auf den Zugang zu dem tödlichen Betäubungsmittel Natrium-Pentobarbital (Na-P) gewährt (Urt. v. 07.11.2023, Az. 3 C 8.22 u.a.). Das Betäubungsmittelrecht erlaube den Erwerb solcher Mittel nur zu therapeutischen Zwecken, nicht aber zur Selbsttötung.
Das BVerwG verwarf damit die Revisionen der schwerkranken Männer. Beide hatten vom Bundesinstitut für Arzneimittel- und Medizinprodukte (BfArM) die Erlaubnis begehrt, Natrium-Pentobarbital (Na-P) in tödlicher Dosis zu erwerben. Das Amt hatte die Erlaubnis versagt, mit den hiergegen gerichteten Klagen hatten die beiden schwerkranken Männer zuletzt vor dem Oberverwaltungsgericht NRW keinen Erfolg. Nun also auch nicht in der letzten Instanz.
BtMG lässt Erwerb nur zu Heilzwecken zu
Na-P unterfällt als Betäubungsmittel den Bestimmungen des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG): Gemäß § 3 BtMG benötigt man für den Erwerb eine Erlaubnis des BfArM. Diese darf jedoch nur erteilt werden, wenn kein Versagungsgrund entgegensteht – wie zum Beispiel § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG.
Danach darf das BfArM die Erlaubnis nicht erteilen, wenn "die Art und der Zweck" der Arzneimittelanwendung nicht mit dem Zweck des BtMG vereinbar ist. Dieser besteht u.a. darin, "die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen, daneben aber den Missbrauch von Betäubungsmitteln soweit wie möglich auszuschließen". Gemeint ist damit die Anwendung von Betäubungsmitteln, um Krankheiten oder krankhafte Beschwerden zu heilen oder zu lindern. "Eine solche therapeutische Zielrichtung hat die Beendigung des eigenen Lebens grundsätzlich nicht", bekräftigte die Vorsitzende Richterin am Dienstag.
Diese Regelungen sowie ihre Anwendung sind laut BVerwG mit dem Grundgesetz (GG) vereinbar. Sie verletzen das Grundrecht auf ein selbstbestimmtes Sterben nicht.
BVerwG sieht zumutbare Alternativen zur Verwirklichung des Sterbewunsches
Das BVerwG erkannte zwar einen Eingriff der Regelungen in das Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben. Denn das Recht gewährleiste die Freiheit des Einzelnen, über das Ob, Wann und Wie der eigenen Lebensbeendigung zu entscheiden. Das hatte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) im Februar 2020 so weitgehend entschieden, als es das strafrechtliche Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung für nichtig erklärte. § 3 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG schränke diese Freiheit ein, weil sich die Betroffenen jedenfalls nicht mit Na-P das Leben nehmen können.
Aber diesen Eingriff hält das BVerwG für gerechtfertigt. Der mit § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG verfolgte Zweck, Miss- und Fehlgebrauch von tödlich wirkenden Betäubungsmitteln zu verhindern, stehe nicht außer Verhältnis zu der Schwere des Grundrechtseingriffs. Das begründete die Vorsitzende Richterin insbesondere mit den Alternativen, die den Betroffenen zur Verfügung stünden.
"Für Menschen, die selbstbestimmt entschieden haben, ihr Leben beenden zu wollen, gibt es andere zumutbare Möglichkeiten zur Verwirklichung ihres Sterbewunsches", sagte die Vorsitzende Richterin des Dritten Senats Renate Philipp. Damit gemeint ist vor allem, sich die Suizidmedikamente ärztlich verschreiben zu lassen. Das BVerwG erkennt dabei an, dass die Suche nach einem zur Suizidhilfe bereiten Arzt eine Belastung für Betroffene sein könne. Allerdings gebe es Organisationen in Deutschland, die bei der Vermittlung helfen. Seit das BVerfG das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung für nichtig erklärt hat, haben Sterbehilfeorganisationen ihre Tätigkeit in Deutschland wieder aufgenommen, sodass dies eine realistische Option sei.
Erschwernisse für Betroffene aufgrund der hohen Missbrauchsgefahr hinzunehmen
Das Gericht berücksichtigte dabei auch, dass die Alternativen zur relativ beschwerdefreien Einnahme von Na-P Betroffenen Hindernisse bereiten. Bei der Selbsteinnahme von Na-P genügt es, das Mittel mit einem Glas Wasser zu verdünnen. Eine ärztliche Verschreibung des Mittels kommt dagegen gar nicht in Betracht, denn auch die Verschreibung darf – ebenso wie die Erlaubnis durch das BfArM – nur erfolgen, wenn sie therapeutischen Zwecken dient. Dafür ist das hochdosierte Mittel schlicht zu tödlich. Wenn das BVerwG also auf die Möglichkeit der ärztlichen Verschreibung verweist bedeutet das: Es wird eine Kombination mehrerer Mittel verschrieben, z.B. erst ein Antibrechmittel, danach ein Mittel zum Einschlafen und zuletzt das tödliche Medikament. Dabei müssen Betroffene drei oder mehr Gläser Flüssigkeit trinken. Gerade für Menschen wie Harald M., die unter Schluckbeschwerden leiden, macht das einen erheblichen Unterschied.
Hierzu verwies der Dritte Senat auf die Möglichkeit, tödliche Mittel intravenös zu verabreichen. Dazu sei eine fachkundige medizinische Begleitung erforderlich, die die Kläger aber gerade nicht wünschten. Diese Belastungen der Sterbewilligen müssten hinter den Gemeinwohlbelangen einer missbrauchssicheren Versorgung mit Arzneimitteln zurückstehen, so die Vorsitzende Richterin. Mit einer Erwerbserlaubnis für Na-P gingen angesichts seiner tödlichen Wirkung und der einfachen Anwendbarkeit besonders große Gefahren für das Leben und die Gesundheit aus. "Diese besonderen Gefahren sind die Kehrseite der dargelegten Vorzüge des Mittels für die Sterbewilligen", so die Vorsitzende Richterin.
Für den Prozessbevollmächtigten von Harald M., Prof. Robert Roßbruch ist diese Begründung nicht nachvollziehbar: "Die Gefahr eines Missbrauchs ist bei jedem anderen Medikament – z.B. Insulin oder Morphin – auch gegeben. Mir ist nicht klar, warum das ausgerechnet bei Na-P besonders problematisch sein soll."
Trotz Erkrankung keine extreme Notlage
Roßbruch hatte in der mündlichen Verhandlung vor knapp zwei Wochen versucht, die Richter des Dritten Senats von einer verfassungskonformen Auslegung des § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG zu überzeugen. Diese hatte BVerwG im Jahr 2017 selbst entwickelt, als es entschied, dass Sterbewillige einen Anspruch auf die beantragte Erwerbserlaubnis von Na-P haben, wenn eine extreme Notlage besteht. Von dieser wichen die Richter in Leipzig am Dienstag zwar nicht ab, jedoch betonten sie die engen Voraussetzungen der extremen Notlage.
Eine solche hatte das Gericht 2017 in einer schweren und unheilbaren Erkrankung gesehen, die mit gravierenden körperlichen Leiden, insbesondere starken Schmerzen, verbunden waren und bei dem Betroffenen zu einem unerträglichen Leidensdruck führten und nicht ausreichend gelindert werden konnten.
Harald M. und Hans-Jürgen B. fallen laut BVerwG nicht unter diese Ausnahme: Die Voraussetzungen dafür lägen schon deshalb nicht vor, weil es die bereits genannten Alternativen für beide Kläger gebe.
Roßbruch hingegen sieht im Fall der Kläger immer noch eine Notlage und somit auch die Einschränkungen aus dem BVerwG-Urteil von 2017 als gegeben an. Zwar sei der Hinweis des BVerwG auf Alternativen grundsätzlich richtig, da nach dem Urteil des BVerfG 2020 nun auch in Deutschland Sterbehilfevereine tätig sind. "Aber gerade die Kläger bestehen darauf, keine Sterbehilfeorganisationen in Anspruch nehmen zu wollen und auch nicht mit einem fremden Arzt zu tun zu haben", so Roßbruch. Diese Belange müssten Berücksichtigung finden.
Gesetzgeber weiterhin in der Pflicht
Klar ist am Ende eines: Zu diesen Verfahren hätte es nicht kommen müssen, wenn der Gesetzgeber die Suizidhilfe gesetzlich geregelt hätte. Denn mit einer Änderung des § 13 BtMG wäre eine ärztliche Verschreibung denkbar. Eine solche sah selbst der als restriktiv betitelte Entwurf des SPD-Politikers Lars Castellucci vor. Diese Möglichkeit hatte auch das BVerfG in seiner Entscheidung aus dem Jahr 2020 angedeutet. Die Entwürfe zur Neuregelung der Suizidhilfe sind allerdings im Juli diesen Jahres in der Abstimmung im Bundestag gescheitert – zum Leidwesen von Harald M. und vielen weiteren Betroffenen.
"Die Ungewissheit lastet nicht nur auf den Sterbewilligen, sondern auch auf ihren Angehörigen und Vertrauten", meint auch Rechtsanwältin Dr. Sylvia Ruge, Hauptgeschäftsführerin des Deutschen Anwaltvereins. Wer sein Recht auf Selbsttötung wahrnehmen wolle, werde vom Gesetzgeber bislang alleingelassen. Die aktuell bestehende Unklarheit, auf welchem Weg Betroffene ihren selbstbestimmten Suizidwunsch in die Tat umsetzen können, sei für diese eine schwere Belastung. Diese werde durch das Urteil des BVerwG vom Dienstag noch verschärft.
M. konnte heute selbst nicht zur Urteilsverkündung kommen "Das ist zu viel für ihn. Diese Belastung kann man ihm nicht nochmal zumuten." sagt Roßbruch gegenüber LTO. Wie es jetzt weitergeht? Für Roßbruch gibt es darauf nur eine Antwort: Der Kampf um das Recht auf selbstbestimmtes Sterben geht weiter – und zwar vor dem BVerfG. Insbesondere sei dabei die Frage zu klären, ob der Verweis auf Alternativen im Widerspruch zum Recht auf selbstbestimmtes Sterben stehe. "Ich befürchte aber, dass beide Kläger dieses Verfahren nicht mehr überleben werden."
Anne Baldauf ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Strafrecht, Rechtsphilosophie und Rechtstheorie und Doktorandin im Medizinrecht an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Sie hat außerdem einen Masterabschluss im Studiengang Medizin-Ethik-Recht (M.mel.).
Hinweis: Wenn Ihre Gedanken um Suizid kreisen, wenn Sie sich traurig oder depressiv fühlen, holen Sie sich Hilfe. Die Telefonseelsorge ist kostenlos und zu jeder Tages- und Nachtzeit erreichbar: Per Telefon 0800 / 111 0 111 oder 0800 / 111 0 222 oder 116 123, per Mail und Chat unter online.telefonseelsorge.de.
Selbstbestimmtes Sterben: . In: Legal Tribune Online, 07.11.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53088 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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