Ein Syrer, der hierzulande zwischenzeitlich als Bauingenieur arbeitete und eine deutsche Frau heiratete, verschwieg bei seiner Einbürgerung eine in Damaskus geschlossene Zweitehe. Deutscher werden kann er trotzdem, so das BVerwG.
Die Frage, wer Deutscher werden darf, ist in Zeiten der mitunter hitzigen Einwanderungsdebatte politisch so aufgeladen wie nur möglich. Im landläufigen Verständnis ist die Verleihung der deutschen Staatsbürgerschaft nämlich nicht nur eine Formalie, sie ist für viele auch Ausdruck gemeinsamer Werte und von ideeller Zugehörigkeit. Und tatsächlich sieht auch das Gesetz dies so.
Einbürgerung funktioniert in Deutschland über mehrere Schienen, darunter z. B. die sogenannte privilegierte Einbürgerung als Ehegatte eines deutschen Staatsbürgers. Personen, die einen Deutschen heiraten, "sollen" nach dem Gesetz auch Deutsche werden dürfen, wenn, so verlangt es § 9 Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG), "gewährleistet ist, daß sie sich in die deutschen Lebensverhältnisse einordnen". Jenseits dessen kann auch eingebürgert werden, wer eine Reihe anderer Voraussetzungen erfüllt, darunter etwa einen gesicherten Lebensunterhalt, ausreichende Sprachkenntnisse, Aufgabe der vorigen Staatsbürgerschaft und - dieser Tage gern zitiert - ein Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung (FDGO) nachweisen kann.
Zu letzterer gehört aber nicht die Monogamie, wie aus einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) von Mai diesen Jahres hervorgeht (Urt. v. 29.05.2018, Az. 1 C 15.17), das nun veröffentlicht wurde. Darin ging es um einen syrischstämmigen Bauingenieur, der aufgrund seiner im April 2008 geschlossenen Ehe mit einer deutschen Frau zunächst eingebürgert worden war. Später nahm die zuständige Behörde die Einbürgerung wieder zurück, da er falsche Angaben gemacht hatte.
Bei Einbürgerung Zweitehe aus Damaskus verschwiegen
Der Mann hatte zwei Monate nach seiner Hochzeit in Deutschland eine weitere Frau in Damaskus geheiratet. Diese lebte nun, ebenso wie er und seine deutsche Frau - allerdings in getrennten Haushalten - in Karlsruhe. Aus der Ehe mit seiner deutschen Frau sind zwischenzeitlich drei Kinder hervorgegangen, für ein 2012 in Damaskus geborenes Kind seiner "Zweitfrau" erkannte er die Vaterschaft später an. Das Kind lebt gemeinsam mit dem Mann und seiner deutschen Familie in einem Haus.
Nachdem der Syrer zunächst aufgrund seines Studiums und später zum Zweck seiner Arbeit aufenthaltsberechtigt gewesen war, beantragte er 2010 seine Einbürgerung nach § 9 Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG) aufgrund seiner in Deutschland geschlossenen ersten Ehe. Dabei unterließ er es, die Behörde von seiner Zweitehe in Kenntnis zu setzen. Seinem Antrag wurde schließlich entsprochen.
Als seine Lüge 2013 aufflog, wollte die zuständige Behörde die Einbürgerung wieder aufheben, da der Mann bei der Antragstellung arglistig getäuscht habe. § 9 StAG fordere zudem neben der Ehe mit einer Deutschen auch, dass sich der Antragsteller "in die deutschen Lebensverhältnisse einordnen" müsse. Angesichts zweier Ehen sah man dieses Erfordernis als nicht gegeben an. Eine Einbürgerung über § 10 sei auch nicht denkbar, da die Mehrehe nicht mit einem Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung vereinbar sei. So sah es auf die Klage des nun nicht mehr Deutschen auch das Verwaltungsgericht (VG), bevor das Oberverwaltungsgericht (OVG) die Rücknahme der Einbürgerung doch wieder kippte.
Zwar habe der Mann bei seiner Einbürgerung gelogen, so die Richter, doch hätte die Mehrehe seine Einbürgerung nicht ausgeschlossen. Wenngleich diese mit den deutschen Lebensverhältnissen nicht konform gehe, so lägen doch die Voraussetzungen des § 10 StAG vor. Mehrfach verheiratet zu sein schließe ein Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung eben nicht aus. Deswegen habe man die Einbürgerung nicht zurücknehmen dürfen.
Freiheitlich-demokratische Grundordnung - ein enger Begriff
In seinem Urteil vom Mai entsprach dieser Ansicht auch der 1. Senat des BVerwG. Die Einbürgerung sei zwar rechtswidrig gewesen, führten die Leipziger Bundesrichter aus, da die Mehrehe gegen eine Einordnung in deutsche Lebensverhältnisse nach § 9 StAG spreche. In ihren Urteilsgründen begaben sie sich dazu tief in die Befindlichkeiten der deutschen Mehrheitsgesellschaft: Die Monogamie sei in der deutschen Gesellschaft weiterhin "prägend", führten die Leipziger Richter aus. Zudem stelle § 172 StGB unter Strafe, wenn Verheiratete eine weitere Ehe eingingen. Dass dieses strafrechtliche Verbot bei einer nach ausländischem Recht zulässigen Doppelehe nicht greife und eine solche Ehe vor dem Hintergrund des deutschen ordre public als rechtsgültig betrachtet werden könne, ändere an ihrer gesellschaftlichen Ablehnung nichts.
Auch für eine Einbürgerung nach § 10 hätten zum Zeitpunkt der ersten Entscheidung 2010 die nötigen Voraussetzung nicht vorgelegen. Allerdings, so der Senat, sei das nicht zwingend auch zum Zeitpunkt der Rücknahme noch der Fall gewesen. Die Behörde habe bei ihrer Entscheidung aber den Stand der Dinge zu dieser Zeit und nicht bei der ersten Antragsbescheidung zugrunde legen müssen.
Zwar ist der Mann nach wie vor mit beiden Frauen verheiratet, ein glaubhaftes Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung könne der Mann dennoch abgeben, befand das BVerwG. Die beiden Begriffe seien schließlich nicht gleichzusetzen: Gegenüber den "deutschen Lebensverhältnissen", die relativ weit ausgelegt werden könnten, sei die Umschreibung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung enger zu ziehen.
Nur eine Grundordnung, kein Wertekanon
Die Legaldefinition in § 4 Abs. 2 Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG), die aufzählt, was zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung gehört, sei vorliegend unbrauchbar, da sie nicht auf andere Rechtsgebiete übertragen werden könne, so der Senat. Aus diesem Grund setzte man sich im Urteil selbst eingehend mit dem Begriff der freiheitlich-demokratischen Grundordnung auseinander. Dabei hielten die Richter fest, dass dieser "nicht auf das individuelle Verhalten des einzelnen Menschen bezogen", sondern auf "grundlegende Prinzipien vorrangig der Staatsordnung und den Bereich der Gesellschaft [...] nachrangig" beschränkt sei.
Außerdem lege das Wort "Grundordnung" bereits nahe, dass "nicht alle Elemente einer solchen Staatsordnung" gemeint seien, sondern nur deren "grundlegende Prinzipien". Im Kern kamen die Richter also zu dem Schluss: Die freiheitlich-demokratische Grundordnung ist das, was unseren Staat in seinen Grundzügen ausmacht, zuvorderst die demokratischen Institutionen. Sie gibt dem Bürger aber nicht vor, nach welchen Werten er sein Leben auszurichten hat.
Das BVerwG folgerte daraus, dass ein Bürger derzeit nicht zwingend nach dem Grundsatz der Einehe leben muss, um Deutscher werden zu können. Er müsse gleichwohl akzeptieren, dass der Staat solche Regeln setzt. Die freiheitlich-demokratische Grundordnung verlange schließlich, die staatliche Rechtssetzung anzuerkennen. Innerhalb dieses Rahmens aber stehe sie der Mehrehe nicht entgegen.
BVerwG: Mehrehe missachtet Frauenrechte
Die Richter scheuten sich dabei nicht, zu betonen, dass die Mehrehe "ein unserer Rechtsordnung prinzipiell fremdes, die Rechte von Frauen missachtendes Ehemodell" sei. Und natürlich sei der Staat berechtigt, in Zukunft eine Einbürgerung an ein Bekenntnis zur Monogamie zu knüpfen, ebenso wie er bereits de lege lata eine Zweitehe aufheben könne. Doch der Status Quo ist nach Auffassung des Senats eben auch: Die freiheitlich-demokratische Grundordnung bedroht die Mehrehe eben nicht.
Ob der Mann nun tatsächlich Deutscher werden darf, ist damit aber noch nicht abschließend geklärt. Das BVerwG verwies die Sache noch einmal zurück an das OVG, um zu prüfen, ob nun auch die weiteren notwendigen Voraussetzungen für eine Einbürgerung nach § 10 StAG vorlägen. Das hatte die Vorinstanz in seinen Augen noch nicht ausreichend aufgeklärt.
BVerwG zur Einbürgerung trotz Mehrehe: . In: Legal Tribune Online, 11.09.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/30843 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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