Eine nicht angemeldete Zusammenkunft hat auch dann den Charakter einer Versammlung, wenn sie sich gegen die Abhaltung einer angemeldeten Demonstration richtet, aber weder mit deren Teilnehmern noch mit der Öffentlichkeit eine verbale Kommunikation stattfinden soll. Das BVerfG gab damit einem Mitglied der rechten Szene Recht, der für seine Teilnahme mit einem Bußgeld belegt worden war.
Bei einer angemeldeten Demonstration im August 2004 im brandenburgischen Finsterwalde unter dem Motto "Keine schweigenden Provinzen - Linke Freiräume schaffen", hatten sich etwa 40 Mitglieder der rechten Szene, darunter auch der Kläger, schweigend entlang der Route der Kundgebung postiert.
Das Amtsgericht (AG) hatte den Mann daraufhin wegen fahrlässiger Teilnahme an einer unerlaubten Ansammlung zu einer Geldbuße von 75 Euro verurteilt. Die Zusammenkunft habe nicht der Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gedient, sondern nur den Zweck verfolgt, die Teilnehmer der linken Demonstration durch bloße Anwesenheit zu provozieren. Die gegen das Urteil des Amtsgerichts erhobene Rechtsbeschwerde vor dem Oberlandesgericht blieb ohne Erfolg.
Auf die Verfassungsbeschwerde des Mannes bejahte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) eine Verletzung der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 Abs. 1 GG und hob das Urteil des AG auf. Dieses habe bei der Prüfung des Versammlungscharakters der Zusammenkunft nicht berücksichtigt, dass diese inhaltlich auf das Versammlungsmotto der angemeldeten Demonstration bezogen war, so die Richter. So habe der Beschwerdeführer und die anderen Mitglieder der Gruppe mit der Zusammenkunft "Gesicht zeigen" und sich gegen die Aussage des von der angemeldeten Demonstration ausgerufenen Mottos stellen wollen. Damit sei die Anwesenheit der von auswärts angereisten Gruppe zu diesem Zeitpunkt an diesem Orterkennbar von dem Willen der Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner geprägt gewesen.
Im Übrigen könne ein kollektiver Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung auch durch schlüssiges Verhalten wie beispielsweise durch einen Schweigemarsch, geäußert werden. Auch wenn eine Anmeldung unterblieben war, lasse dies nicht den Grundrechtsschutz der Zusammenkunft entfallen. Feststellungen zu einer kollektiven Unfriedlichkeit der Zusammenkunft habe das Amtsgericht jedenfalls nicht getroffen. Die Auferlegung des Bußgeldes war deshalb rechtswidrig. (Beschl. v. 10.12.2010, Az. 1 BvR 1402/06)
sh/LTO-Redaktion
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BVerfG: . In: Legal Tribune Online, 13.01.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/2330 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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