Wann muss der Staat die Mitgliedschaft in einer Regligionsgemeinschaft anerkennen? Das BVerfG hat klargestellt, dass darüber nur der nach außen erkennbare Wille des Betroffenen entscheidet. Damit gab Karlsruhe einer jüdischen Gemeinde Recht, die ein französisches Paar als Mitglieder betrachtete, nachdem diese sich im Einwohnermeldeamt als "mosaische" Gläubige bekannt hatten.
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hatte sich mit der Frage zu befassen, wann der Staat eine Mitgliedschaft in einer Religionsgemeinschaft anerkennen muss. Die Richter entschieden, wie am Donnerstag bekannt wurde, dass dies abhängig vom nach außen erkennbaren Willen des Betroffenen sei. Es sei der staatlichen Obrigkeit hierbei untersagt, mögliche Strömungen innerhalb der Religionsgemeinschaft zu bewerten und dadurch auf den inneren Willen des Betroffenen zu schließen (Beschl. v. 17.12.2014, Az. 2 BvR 278/11).
Die Entscheidung ist ein Rückschlag für ein französisches Paar, welches seit einigen Jahren in Frankfurt lebt. Als sie ihren neuen Wohnsitz beim Einwohnermeldeamt meldeten, machten sie in dem entsprechenden Formular auch Angaben zu ihrer Religionszugehörigkeit, indem sie "mosaisch" eintrugen.
Die einzige jüdische Gemeinde in Frankfurt schickte den beiden im Anschluss ein Begrüßungsschreiben. Nach der Satzung der Gemeinde, einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, ist jeder Mitglied, der jüdischen Glaubens ist und seinen Wohnsitz in Frankfurt hat. Für Zugezogene sieht die Satzung vor, dass sie innerhalb einer Frist von drei Monaten ihrer Mitgliedschaft widersprechen können.
Das französische Paar erklärte aber erst etwa ein halbes Jahr nach seinem Zuzug, dass es nicht Mitglied der Gemeinde sein wolle, und damit nach der Satzung der jüdischen Gemeinde zu spät. Die beiden Franzosen erklärten daraufhin den Austritt, allerdings klagten sie auch auf Feststellung, dass sie zu keinem Zeitpunkt Mitglied der jüdischen Gemeinde Frankfurt gewesen seien.
BVerfG: Staat muss Regeln der Gemeine anerkennen
Hierüber entschied schließlich das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), welches der Klage des Paares stattgab. Unter Berücksichtigung aller Umstände sei davon auszugehen, dass die beiden Kläger nicht zum Ausdruck gebracht hätten, Mitglieder der jüdischen Gemeinde sein zu wollen.
Die Verfassungsbeschwerde der Gemeinde, die von der Entscheidung aus Leipzig betroffen ist, hatte aber in Karlsruhe Erfolg. Die Verfassungsrichter entschieden, dass das Leipziger Urteil die Gemeinde in ihrem Recht aus Art. 4 Abs. 1 und 2 in Verbindung mit Art. 140 Grundgesetz (GG) und Art. 137 Abs. 3 Weimarer Verfassung (WRV) verletzt. Demnach können Religionsgemeinschaften ihre Angelegenheiten grundsätzlich selbständig ordnen und verwalten. Das gilt auch für Bestimmungen, die den Ein- und Austritt und die Mitgliedschaft regeln.
Der Staat müsse solche Regelungen anerkennen. Das BVerwG habe hingegen Bedeutung und Tragweite dieses Selbstbestimmungsrechts verkannt, indem es überzogene Anforderungen an den erkennbaren Willen des Paares gefordert habe, der Gemeinde anzugehören, so die 1. Kammer des Zweiten Senats.
"Mosaisch" nur ein Synonym für "jüdisch"
Als Schranke komme in diesem Fall zwar das Grundrecht der negativen Glaubens- und Bekenntnisfreiheit aus Art. 4 GG desjenigen, der gegen seinen Willen als Mitglied herangezogen werde, in Betracht. Hier sei jedoch auf den nach einem objektiven Empfängerhorizont erkennbar gewordenen Willen des Betroffenen abzustellen, so die Richter. Dessen Mitgliedschaft in einer Religionsgemeinschaft müsse der Staat dann anerkennen, wenn sie durch eine positive Erklärung legitimiert werde. Eine förmliche Beitrittserklärung sei nicht nötig. Denn der Wille, einer Religionsgemeinschaft angehören zu wollen, könne in vielfältiger Weider zum Ausdruck gebracht werden, so die Entscheidung aus Karlsruhe.
Das BVerwG sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass das betroffene Paar nicht deutlich gemacht habe, es wolle Mitglied der jüdischen Gemeinde Frankfurt sein. Nach Ansicht der Karlsruher Richter ist aus ihren Angaben ihr objektiv gegenüber der Meldebehörde erklärter Wille sehr wohl zu erkennen. Aus der Auskunft "mosaisch" werde hinreichend erkennbar, dass sie der Beschwerdeführerin angehören wollten, so die Richter. Der Begriff könne nur als Synonym dafür verstanden werden, jüdischer Regligionszugehörigkeit zu sein.
Zudem rügten die Richter das BVerwG, sofern es sich aufgrund einer möglichen Tendenz des Judentums zur Pluralisierung und Rekonfessionalisierung daran gehindert sah, aus der Angabe "mosaisch" auf die Zuordnung zur konkreten jüdischen Gemeinde zu schließen. Denn dem Staat, und damit auch den Gerichten, sei es nicht gestattet, Glaube und Lehre einer Religionsgemeinschaft zu bewerten. Das sei übrigens auch dem einzelnen Gläubigen verwehrt, betonte das BVerfG. Nur die verfasste Religionsgemeinschaft bestimme, wie sie Glaube, Lehre und Kultus verstehe. Dem könne der Einzelne folgen oder aber austreten. Das habe das französische Paar jedoch erst ein halbes Jahr nach Beginn seiner Mitgliedschaft in der Frankfurter Gemeinde getan.
una/LTO-Redaktion
BVerfG zu Religionsgemeinschaft: . In: Legal Tribune Online, 22.01.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14451 (abgerufen am: 17.11.2024 )
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