Das BVerfG hat am Samstag per einstweiliger Anordnung das stadtweite Demonstrationsverbot für das gesamte Wochenende im sächsischen Heidenau aufgehoben. Ein "polizeilicher Nostand" sei nicht hinreichend begründet worden.
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat einem Jurastudenten aus Bonn Recht gegeben, der sich im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gegen das stadtweite Demonstrationsverbot in Heidenau gewehrt hatte. Die Karlsruher Richter hoben am Samstag die Eilentscheidung des OVG Bautzen auf, welches das Demonstrationsverbot am Freitagabend aufrecht erhalten und nur das Willkommensfest für Flüchtlinge davon ausgenommen hatte. Die Karlsruher Richter ordneten auch die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers an (BVerfG, Beschl. v. 29.08.2015, Az. 1 BvQ 32/15). Damit gilt nun wieder das Urteil des Verwaltungsgericht (VG) Dresden, welches am Freitagnachnittag die Allgemeinverfügung, welche die örtlichen Behörden mit einem polizeilichen Notstand begründet hatten, für rechtswidrig erklärt und aufgehoben hatte.
Auch das OVG hatte zwar festgestellt, dass der zur Begründung angeführte "polizeiliche Notstand" das Verbot nicht rechtfertige. Es hielt den Antrag des jungen Juristen aus Bonn, der diesen damit begründet hatte, dass er zum Willkommensfest für Flüchtlinge habe reisen wollen, aber auch nur mit Blick auf diese eine Versammlung für zulässig.
Folgenabwägung führt zur Aufhebung des Verbots
Das BVerfG erklärt die Beurteilung dieser Auslegung für zeitlich ebenso unmöglich wie die verfassungsrechtliche Beurteilung der OVG-Entscheidung. Die im Rahmen des einstweiligen Anordnungsverfahrens nach § 32 BVerfassungsgerichtsgesetz vorzunehmende Folgenabwägung ergebe aber, dass die für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sprechenden Gründe überwiegen.
Ein Verbot von Versammlungen im gesamten Gebiet der Stadt Heidenau für das anstehende Wochenende würde schwer wiegen. Aufgrund der Geschehnisse der jüngeren Zeit und der aktuellen Medienberichterstattung kommt, so die Verfassungsrichter, der Stadt Heidenau für das derzeit politisch intensiv diskutierte Thema des Umgangs mit Flüchtlingen in Deutschland und Europa besondere Bedeutung zu. Das freie Wochenende sei für Erwerbstätige oft die einzige Möglichkeit, sich am Prozess der öffentlichen Meinungsbildung durch ein "Sich-Versammeln" zu beteiligen und im Wortsinne "Stellung zu beziehen".
Es wäre daher, so die 3. Kammer des Ersten Senats, schlimmer, wenn eine Anordnung nicht erginge und sich später herausstellen würde, dass diese Entscheidung falsch war, als wenn das BVerfG das Versammlungsverbot zu Unrecht aufrecht erhalten würde.
Polizeilicher Notstand nicht belegt
Der "polizeiliche Notstand", mit dem der Landkreis das Verbot begründet hatte, sei nicht hinreichend belegt worden sei. Das zuständige Landratsamt hatte das Verbot damit begründet, dass nach den Gewaltausschreitungen um die Erstaufnahme von Flüchtlingen vom vergangenen Wochenende eine erhebliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit unmittelbar bevorstehe. Die Gefahr könne durch ein Vorgehen gegen die Störer nicht abgewendet werden, weil nicht ausreichend eigene sowie ergänzende Polizeikräfte zur Verfügung stünden, um die gefährdeten Rechtsgüter wirksam zu schützen. Der Einsatz der zur Verfügung stehenden Mittel, insbesondere Wasserwerfer, würde unverhältnismäßige Schäden bei Nichtbeteiligten verursachen.
Das reicht den Verfassungsrichtern nicht. Weder VG noch OVG hätten einen Notstand feststellen können. Und dafür, "dass auch unter Berücksichtigung von polizeilicher
Unterstützung durch die anderen Länder und den Bund (...) jede Durchführung von Versammlungen in Heidenau für das ganz Wochenende zu einem nicht beherrschbaren Notstand führt, ist auch sonst substantiiert nichts erkennbar".
Die in Heidenau geplanten Versammlungen sowohl linker als auch rechter Gruppen können nun stattfinden. So soll es am Sanstag noch eine Veranstaltung unter dem Motto "Bunt statt braun" geben. Für alle Veranstaltungen gilt aber das Versammlungsrecht, die Behörden können also Auflagen machen. So war es nach der Entscheidung des VG Dresden auch beim Willkommensfest für Flüchtlinge gehandhabt worden, für Transparente und Fahnen galten Begrenzungen. Gegenstände, die als Wurfgeschosse dienen könnten, sowie Pyrotechnik wurden verboten.
Das BVerfG betont immer wieder die Bedeutung der Versammlungsfreiheit für einen demokratischen Staat. Karlsruhe hat schon mehrfach die Rechtmäßigkeit von Versammlungen anerkannt, welche die Verwaltungsgerichte zuvor verboten hatten.
pl/LTO-Redaktion
Mit Materialien von dpa
BVerfG hebt OVG-Entscheidung auf: . In: Legal Tribune Online, 29.08.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16749 (abgerufen am: 05.11.2024 )
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