Eine stundenlange Haftunterbringung eines Gefangenen ohne Kleidung verstößt gegen sein allgemeines Persönlichkeitsrecht, entschied das BVerfG nun und hob zwei Gerichtsentscheidungen auf. Dabei betonten die Karlsruher Richter auch, dass sich Gerichte nicht ohne weiteres auf Ausführungen der JVA verlassen dürfen, wenn der Inhaftierte diese bestreitet.
Besondere Sicherungsmaßnahmen im Strafvollzug dienen in vielen Fällen vorrangig dem Schutz des Gefangenen vor sich selbst. Zur Suizidprävention dürfen einem Inhaftierten sogar Kleidungsstücke weggenommen werden. Vollkommen entkleidet darf jedoch kein Inhaftierter in seiner Zelle verweilen. Schon gar nicht, wenn diese videoüberwacht ist. Das entschied das Bundesverfassungsgericht (BVerfG), wie am Mittwoch bekannt wurde, schon im März (Beschl. v. 18.03.2015, Az. 2 BvR 1111/13).
Sowohl das Landgericht (LG) Kassel als auch das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt hatten zuvor das Ersuchen eines psychisch auffälligen Gefangenen in der JVA Kassel zurückgewiesen und damit die besonderen Sicherungsmaßnahmen als rechtmäßig angesehen, die der Mann hatte über sich ergehen lassen müssen. Der Straftäter hatte im September 2010 über einen ganzen Tag in einem besonders gesicherten und videoüberwachten Haftraum ohne Kleidung verbringen müssen, weil er zuvor randaliert hatte.
Schnell reißende Kleidung als milderes Mittel
Wie die Verfassungsgerichter nun ausführten, habe das LG, welches das Vorgehen der JVA ausdrücklich als rechtmäßig bestätigt hatte, die Bedeutung des allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) verkannt. Das LG hatte der JVA insbesondere darin zugestimmt, dass es keine weniger einschneidenden Maßnahmen als diese Unterbringung des Gefangenen gegeben hätte. Die Entkleidung sei notwendig gewesen, damit sich der Inhaftierte nicht selbst habe verletzen können.
Das BVerfg bemängelte nun, dass dem Mann alternativ auch Ersatzkleidung aus schnell reißendem Material zur Verfügung hätte gestellt werden können - ein deutlich milderes Mittel, welches die Richter in Kassel offenbar übersehen hatten. Das Strafvollzugsgesetz (StvollzG) erlaube zwar die Wegnahme von einzelnen Kleidungsstücken, betonten die Richter in Karlsruhe. Ein Mindestmaß an Intimsphäre dürfe Gefangenen aber unter keinen Umständen genommen werden. Ein vollständige Entkleidung als Sicherungsmaßnahme nach § 88 StvollzG ist daher nicht mit dem Grundgesetz vereinbar.
Problematisch sei aber auch, dass die JVA ihr Handeln gegenüber den LG-Richtern inhaltlich in keiner Weise konkretisiert habe. Jede einzelne Sicherheitsmaßnahme sei aber detailliert zu begründen. Der abweisende Beschluss des LG verletze den Beschwerdeführer daher in seinen Grundrechten, so das BverfG. Gleiches gelte für die Entscheidung des OLG Frankfurt, welches die Rechtsbeschwerde des Mannes zurückgewiesen hatte.
Gericht hätte Darstellung der JVA prüfen müssen
Nicht nur die Intimsphäre des Gefangenen sahen die Karlsruher Richter als verletzt an. Auch der grundrechtlich garantierte Anspruch auf effektiven Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 GG sei betroffen, da das LG wichtige Nachforschungen unterlassen habe.
Die Parteien - Gefangener und JVA - hatten sich in Kassel um die Details der Haftbedingungen gestritten. Es ging um die angeblich zu niedrige Raumtemperatur der Zelle, den Defekt der Toilettenspülung und den Mangel an Toilettenpapier. Die JVA hatte vorgetragen, dass die Darlegungen des Gefangenen nicht den Tatsachen entsprächen und das Gericht dem offenbar ohne Weiteres Glauben geschenkt.
Auch das rügten die Richter. Von der Richtigkeit einer behördlichen Darstellung dürfe ein Gericht nur ausgehen, wenn es hierfür konkrete Gründe gibt. Es sei jedenfalls nicht möglich, wenn das widersprechende Vorbringen des Gefangenen nicht offensichtlich abwegig sei, wie in diesem Fall.
una/LTO-Redaktion
BVerfG zu Sicherungsmaßnahmen im Strafvollzug: . In: Legal Tribune Online, 15.04.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15240 (abgerufen am: 04.11.2024 )
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