BVerfG zu erkennungsdienstlichen Maßnahmen: Wann ist die Anfer­ti­gung von Fin­ger­ab­drü­cken und Licht­bil­dern not­wendig?

19.08.2022

Das Anfertigen von Fingerabdrücken und Lichtbildern eines Beschuldigten muss nach § 81b StPO verhältnismäßig sein. Ein mutmaßlicher Sprayer wehrte sich mit seiner Verfassungsbeschwerde nun erfolgreich gegen eine polizeiliche Anordnung.

Die erkenungsdienstliche Behandlung eines mutmaßlichen Sprayers verletzte diesen in seinem Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Das hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) entschieden (Beschl. v. 29.07.20222, Az. BvR 54/22). Die Anordnung der Abnahme eines Zehnfinger- und Handflächenabdrucks sei nicht notwendig und die Anfertigung eines Fünfseiten- und Ganzkörperbildes nicht geeignet gewesen.

Anfang Juni 2021 sprayte ein zunächst unbekannter Täter zwei großflächige Schriftzüge mit silberner Sprühfarbe an ein Gasverteilergebäude. Der Sprayer wurde dabei von einem Zeugen angesprochen, gefilmt und fotografiert. Der Zeuge gab bei seiner späteren Vernehmung an, dass er die Person bei einer Gegenüberstellung wiedererkennen könne.

Die Eigentümerin des betroffenen Gebäudes stellte Strafantrag wegen Sachbeschädigung (§ 303 StGB). Ausgehend von einem anonymen Hinweis erkannten zwei Polizeibeamte den mutmaßlichen Sprayer auf den vom Zeugen gefertigten Lichtbildern wieder. Gegen ihn wurde daraufhin ein Ermittlungsverfahren wegen Sachbeschädigung eingeleitet.

Kein Vergleichsmaterial für Fingerabdrücke

Im Juli 2021 ordnete die Polizei an, den Sprayer gemäß § 81b Strafprozessordnung (StPO) erkennungsdienstlich zu behandeln. Nach § 81b StPO können, soweit es für die Zwecke der Durchführung des Strafverfahrens oder für die Zwecke des Erkennungsdienstes notwendig ist, Lichtbilder und Fingerabdrücke des Beschuldigten auch gegen seinen Willen aufgenommen und Messungen und ähnliche Maßnahmen an ihm vorgenommen werden.

Die Ermittlungsbehörde fertigte ein Fünfseitenbild, ein Ganzkörperbild, eine Personenbeschreibung, ein Spezialbild sowie einen Zehnfinger- und Handflächenabdruck an. Zur Begründung führte die Anordnung unter anderem unter Bezugnahme auf § 81b Alt. 1 StPO aus, eine erkennungsdienstliche Behandlung sei notwendig, weil die Maßnahmen zur Sachverhaltsaufklärung erforderlich seien. Insbesondere müsse dem Zeugen eine Wahllichtbildvorlage zur Identifizierung vorgelegt werden.

Der mutmaßliche Sprayer wehrte sich daraufhin vor dem Amtsgericht (AG) vergeblich gegen die Anordnung. Das Amtsgericht hielt die Anordnung, auch ihrem Umfang nach, für die Aufklärung erforderlich. Nach Ansicht des Beschuldigten sei die Anfertigung von Lichtbildern nicht erforderlich gewesen, da er nicht bestreite, die Person zu sein, mit der der Zeuge gesprochen habe. Weiterhin räume er ein, die Person auf den von dem Zeugen gefertigten Aufnahmen zu sein. Einer Anfertigung von Lichtbildern bedürfe es aus diesem Grund nicht. Die Abnahme von Fingerabdrücken sowie Handflächenabdrücken sei dagegen schon nicht zulässig, da es kein Vergleichsmaterial gebe, meinte der Beschuldigte.

Nachdem auch das Landgericht (LG) Zwickau seiner Beschwerde nicht abgeholfen hatte, rügte der Beschuldigte mit seiner Verfassungsbeschwerde vor dem BVerfG die Verletzung seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG durch die landgerichtliche Entscheidung - und das mit Erfolg.

Fingerabdrücke ungeeignet, Lichtbilder nicht erforderlich

Die Abnahme eines Zehnfinger- und Handflächenabdrucks sowie die Anfertigung eines Fünfseiten- und Ganzkörperbildes verletze den beschwerdeführenden mutmaßlichen Sprayer in seinem Recht auf informationelle Selbstbestimmung, meint das BVerfG. "Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung gewährleistet die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen. Es gewährt seinen Trägern Schutz gegen eine unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung oder Weitergabe der auf sie bezogenen, individualisierten oder individualisierbaren Daten.", heißt es in der Pressemitteilung des BVerfG.

Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dürfe nur aufgrund eines Gesetzes und im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit sowie unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit eingeschränkt werden. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sei im Fall des mutmaßlichen Sprayers nach Ansicht des BVerfG nicht gewahrt. Im Fall des Finger- und Handflächenabdrucks sei die Anfertigung bereits nicht geeignet gewesen, so das BVerfG. Ohne Vergleichsmaterial seien die Abdrücke nicht geeignet, die Identifizierung des Täters sicherzustellen.

Ebenso sei auch die Anfertigung von Lichtbildern für die Ermittlungen nicht notwendig gewesen. Da der Zeuge bereits angegeben hatte, den Täter wiedererkennnen zu können, hätte eine Identifizierung auch im Rahmen einer Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung erfolgen können. Einer Wahllichtvorlage und dem Bereitstellen von Fotomaterial habe es nicht bedurft, so das BVerfG.

Die Entscheidung ist unanfechtbar.

ku/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

BVerfG zu erkennungsdienstlichen Maßnahmen: . In: Legal Tribune Online, 19.08.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49367 (abgerufen am: 24.11.2024 )

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