Weil ein Mann die Verhandlungsführung einer Amtsrichterin mit "nationalsozialistischen Sondergerichten" und "Hexenprozessen" verglichen hatte, wurde er wegen Beleidigung verurteilt. Schmähkritik war das aber nicht, entschied das BVerfG.
Wer die Verhandlungsführung einer Amtsrichterin mit einem "Hexenprozess" oder "nationalsozialistischen Sondergerichten" vergleicht, beleidigt nicht gleich. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) gab in einer am Dienstag veröffentlichten Entscheidung der Beschwerde eines Mannes statt, der wegen Beleidigung an einer Amtsrichterin verurteilt worden war. Das Landgericht Bremen muss in dem Fall jetzt neu entscheiden (Beschl. v. 14.06.2019, Az. 1 BvR 2433/17).
Der Beschwerdeführer war Kläger in einem Zivilprozess. Er hatte in einem Ablehnungsgesuch unter anderem seinen Eindruck geschildert, die Richterin habe einen Zeugen einseitig zu seinen Lasten vernommen. Die Art und Weise erinnere ihn stark an "einschlägige Gerichtsverfahren vor ehemaligen nationalsozialistischen deutschen Sondergerichten" und "eher an einen mittelalterlichen Hexenprozess als ein nach rechtsstaatlichen Grundsätzen geführtes Verfahren".
Für diese Äußerungen verurteilte ihn das Amtsgericht wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe. Berufung, Revision und Anhörungsrüge des Mannes blieben erfolglos. Die Fachgerichte hielten seine Äußerungen für Schmähkritik.
BVerfG: Ein Recht auf polemische Zuspitzung
Die Karlsruher Richter gaben der Verfassungsbeschwerde des Mannes nun aber statt. Die Entscheidungen der Gerichte hätten den Mann in seinem Grundrecht auf Meinungsfreiheit verletzt, so die 2. Kammer des Ersten Senats.
Bei Schmähungen sei ausnahmsweise keine Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit und dem Persönlichkeitsrecht erforderlich, heißt es in dem Beschluss, weil die Meinungsfreiheit in solchen Fällen regelmäßig hinter den Ehrenschutz zurücktrete. Solange aber ein Bezug zu einer Sachauseinandersetzung bestehe und sich die Äußerungen nicht auf bloße persönliche Herabsetzung beschränkten, seien sie auch nicht als Schmähung einzustufen. Sie könnten dann nur nach einer umfassenden Abwägung mit der Meinungsfreiheit als Beleidigung bestraft werden.
Die Äußerungen des Mannes stellten demnach keine Schmähkritik dar, entschied das BVerfG. Sie seien im Kontext einer Sachauseinandersetzung getätigt worden, nämlich dem Ablehnungsgesuch gegen die Richterin.
Sie ließen sich wegen der auf die Verhandlungsführung und eben nicht auf die Richterin als Person gerichteten Formulierungen nicht sinnerhaltend aus diesem Kontext lösen. Daher setzen sie nach Auffassung des BVerfG auch nicht bloß die Richterin herab. Historische Vergleiche mit dem Nationalsozialismus oder Vorwürfe einer "mittelalterlichen" Gesinnung könnten besonderes Gewicht im Rahmen der Abwägung haben, so die Karlsruher Richter. Sie begründeten aber nicht schon für sich gesehen die Annahme, dass Schmähkritik vorliege, so das Gericht.
Das Recht, Maßnahmen der öffentlichen Gewalt ohne Furcht vor staatlichen Sanktionen auch scharf kritisieren zu können, gehöre zum Kernbereich der Meinungsfreiheit, heißt es in der Entscheidung. Sie erlaube es insbesondere nicht, den Beschwerdeführer auf das zur Kritik am Rechtsstaat Erforderliche zu beschränken und ihm damit ein Recht auf polemische Zuspitzung abzusprechen.
acr/LTO-Redaktion
BVerfG zu Schmähkritik und Meinungsfreiheit: . In: Legal Tribune Online, 23.07.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/36635 (abgerufen am: 15.11.2024 )
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