Geständnis im Austausch für ein berechenbares Strafmaß: Ein "Deal" kann einen Strafprozess beschleunigen und Vorteile für alle Beteiligten haben. Die Verständigung darf aber nicht auf Kosten eines fairen Verfahrens gehen, so das BVerfG.
"Das ist richtig so." Mit diesem Satz bestätigte ein Angeklagter die Erklärung seines Anwalts, dass er die Tatvorwürfe einräume. Das Amtsgericht (AG) Halle an der Saale verurteilte ihn daraufhin zu einem Jahr und drei Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung. So einfach hätte es sich das Gericht allerdings nicht machen dürfen, entschied das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in einem von zwei am Mittwoch veröffentlichten Beschlüssen. In beiden Verfahren ging es um die Frage, wann eine Verständigung im Strafprozess das grundsätzliche Recht auf ein faires Verfahren beeinträchtigt.
Im Fall des Angeklagten vor dem AG Halle (BVerfG, Beschl. v. 20.12.2023, Az. 2 BvR 2103/20) war der Geschäftsführer einer Firma wegen Veruntreuung von Arbeitsentgelt in 26 Fällen verurteilt worden. In der Hauptverhandlung hatte der Vorsitzende Richter eine Verständigung vorgeschlagen.
Absprachen im Strafprozess (häufig als "Deal" bezeichnet) sind gemäß § 257c der Strafprozessordnung (StPO) in geeigneten Fällen zulässig. Sie sollen vor allem die Arbeitsbelastung der Justiz mindern, bieten aber auch für den Angeklagten Vorteile. Ihm kann bei einem Geständnis etwa eine mildere Strafe in Aussicht gestellt werden.
Für den Fall, dass er gestehe, sicherte der Richter ihm eine Strafe zwischen einem Jahr und einem Jahr und drei Monaten ausgesetzt zur Bewährung zu. Diesem Deal stimmte der Angeklagte zu. Sein Verteidiger gab daraufhin eine Erklärung ab. Darin bestätigte er knapp den Vorwurf der Staatsanwaltschaft. Er gab zu, dass der Angeklagte in seiner Tätigkeit Personen aus Osteuropa beschäftige und erklärte, "Ihn hat nicht interessiert, ob die Arbeitnehmer anzumelden sind oder dies bereits geschah. Er hat sich um die Dinge nicht gekümmert, er nahm die Konsequenzen in Kauf. Der Tatvorwurf wird als bestätigt eingeräumt". Diese Erklärung bestätigte der Angeklagte.
BVerfG: Es gibt eine zwingende Überprüfungspflicht
In der daraufhin folgenden Beweisaufnahme überprüfte das Gericht nicht mehr, ob der Inhalt der Erklärung der Wahrheit entspricht, sondern verurteilte den Angeklagten ausschließlich auf der Grundlage seines Geständnisses. Die dagegen eingelegte Revision zum Oberlandesgericht (OLG) blieb erfolglos.
Das BVerfG hob die Entscheidungen des AG und des OLG nun auf. "Das verständigungsbasierte Geständnis ist zwingend durch Beweiserhebung in der Hauptverhandlung auf seine Richtigkeit zu überprüfen", hat das BVerfG in seinem Beschluss entschieden. Die Urteile beider Gerichte hätten das Recht des Angeklagten auf ein faires Verfahren aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verletzt.
Das Recht auf ein faires Verfahren folgt aus dem Rechtsstaatsprinzip, Art. 20 Abs. 3 GG in Verbindung mit den Freiheitsrechten und Art. 1 Abs. 1 GG. Es gehört zu den wesentlichen Grundsätzen eines rechtsstaatlichen Verfahrens. Es gewährleistet, dass der Beschuldigte prozessuale Rechte und Möglichkeiten wahrnehmen und Übergriffe der staatlichen Stellen oder anderer Verfahrensbeteiligter angemessen abwehren kann.
Laut BVerfG ist die Qualität des Geständnisses gering gewesen, die Andeutungen oberflächlich und teilweise mehrdeutig. Deshalb habe sich der Tatrichter seine Überzeugung von der Schuld des Angeklagten und dem Ausmaß des Schadens nicht allein aus der Erklärung des Verteidigers heraus bilden können.
Verständigung ohne den Angeklagten
In dem zweiten Fall (Beschl. v. 08.11.2023, Az. 2 BvR 294/22) hatte beim AG Magdeburg ebenfalls eine Verständigung stattgefunden. Zuvor war die Verhandlung für ein Gespräch zwischen dem Vorsitzenden, dem Verteidiger und dem Staatsanwalt für 20 Minuten unterbrochen worden. Der Angeklagte selbst war nicht dabei.
Laut dem Sitzungsprotokoll erklärte der Richter nach dem Gespräch, es sei eine Verständigung mit dem Inhalt herbeigeführt worden, dass der Angeklagte, wenn er gesteht, höchstens zu einem Jahr Freiheitsstrafe ausgesetzt zur Bewährung verurteilt werde. Wer den Verständigungsvorschlag gemacht hat und wer welchen Standpunkt vertrat, stand jedoch nicht im Protokoll.
Der Angeklagte gestand daraufhin und wurde wegen Steuerhinterziehung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr ausgesetzt zur Bewährung verurteilt. Er legte dagegen Rechtsmittel ein und stützte sich maßgeblich auf eine Verletzung der Mitteilungspflicht. Gemäß § 243 Abs. 4 StPO muss der Vorsitzende in der Hauptverhandlung mitteilen, ob sich die Verfahrensbeteiligten über eine Verständigung unterhalten haben und was deren wesentlicher Inhalt war. Das OLG jedoch verwarf die Revision.
Diese Entscheidung hob das BVerfG nun auf. Das OLG "hat die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Mitteilungspflicht aus § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO sowie an die Beurteilung, ob das amtsgerichtliche Urteil auf einer Verletzung dieser Mitteilungspflicht beruht, verkannt." Der Strafrichter hätte in der Hauptverhandlung erklären müssen, welche Standpunkte die einzelnen Gesprächsteilnehmer vertreten hatten und wer die Verständigung vorgeschlagen hatte. Indem er das unterließ, habe der Angeklagten nicht alle für seine Verteidigung relevanten Informationen erfahren können. Außerdem sei ihm so der Schutz durch die Kontrollmöglichkeit der Öffentlichkeit genommen worden.
Beide Verfahren wurden zur erneuten Entscheidung zurück an ihre jeweiligen Ausgangsgerichte verwiesen.
hes/LTO-Redaktion
BVerfG zur Verständigung im Strafprozess: . In: Legal Tribune Online, 07.02.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53830 (abgerufen am: 22.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag