BVerfG zu Auslieferungen: Offene Fragen für den Euro­päi­schen Gerichtshof

04.05.2022

Das BVerfG hat zwei Verfassungsbeschwerden überwiegend stattgegeben, in denen es um Auslieferungen in die Türkei bzw. nach Schweden geht. Das OLG Hamm und das OLG Düsseldorf hätten das Recht auf den gesetzlichen Richter nicht gewahrt.

Das Bundesverfassungsgericht (BverfG) hält die Entscheidungen zweier Oberlandesgerichte (OLG) für verfassungswidrig, in denen es um Auslieferung zweier Männer geht, je einmal nach Schweden und einmal in die Türkei. In beiden Fällen stünden Fragen im Raum, die der Europäische Gerichtshof (EuGH) bisher nicht geklärt habe, so die Karlsruher Richterinnen und Richter. Die OLG hätten deshalb den EuGH einschalten müssen, was sie aber nicht getan hätten. Die Verfassungsbeschwerden der beiden Männer hatten damit größtenteils Erfolg. Die Betroffenen seien durch die OLG-Entscheidungen in ihrem Recht auf den gesetzlichen Richter verletzt worden (Beschl. v. 30.03.2022, Az.2 BvR 2069/21 und v. 20.04.2022, Az. 2 BvR 1713/21).

In dem einen Fall ging es um einen psychisch kranken Afghanen, gegen den ein schwedisches Gericht 2018 als Maßregel den Freiheitsentzug in der Psychiatrie angeordnet hatte. Der Mann reiste trotzdem nach Deutschland und wurde daraufhin per Europäischem Haftbefehl gesucht. Seit seiner Festnahme war er zeitweise in Auslieferungshaft und zeitweise in der Psychiatrie in Deutschland. Der EuGH hat laut BVerfG aber bisher nicht geklärt, ob ein zuständiges Gericht vorab prüfen muss, ob durch die Überstellung ein schwerer gesundheitlicher Schaden droht und ob in diesem Fall die Überstellung abgelehnt werden darf. Das BVerfG verwies den Fall zurück ans OLG Düsseldorf, das die Frage nun dem EuGH in Luxemburg vorlegen dürfte.

In dem anderen Fall hatte ein türkischer Mann 2010 in Italien politisches Asyl erhalten, bevor er weiter nach Deutschland reiste. Die türkische Justiz wirft ihm vor, in einem Familienstreit seine Mutter getötet zu haben, und fordert die Auslieferung. Der Mann sagt, das sei nur vorgeschoben. In Wahrheit drohe ihm politische Verfolgung als angeblicher Kämpfer der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK. Nach der Karlsruher Entscheidung hat das OLG Hamm die Auslieferung des Mannes zu Unrecht für zulässig erklärt. Die Frage, ob die Anerkennung als Flüchtling in einem EU-Land einer Auslieferung grundsätzlich entgegensteht, sei umstritten. Vor diesem Hintergrund hätte das OLG sich mit den unterschiedlichen Auslegungsmöglichkeiten von Art. 9 Abs. 2 und Abs. 3 der Asyl-Verfahrensrichtlinie auseinandersetzen müssen, so das BVerfG. Wenn das OLG Hamm schon von einer Vorlage an den EuGH absieht, hätte es das aber wenigstens näher begründen müssen.

dpa/cp/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

BVerfG zu Auslieferungen: . In: Legal Tribune Online, 04.05.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/48334 (abgerufen am: 22.11.2024 )

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