Ein Pkw-Halter aus NRW ist wegen eines 30-Euro-Knöllchens bis vor das Bundesverfassungsgericht gezogen – und bekam Recht. Denn: Wer Fahrzeughalter ist, ist nicht automatisch auch Fahrer, bestätigte das BVerfG.
Als ein Mann am 6. Oktober 2022 in Siegburg seinen Pkw parkte, ahnte er vermutlich nicht, wo ihn das noch hinführen würde. Jedenfalls erhielt er wegen Überschreitung der zulässigen Höchstparkdauer im Dezember 2022 einen Bußgeldbescheid: 30 Euro sollte er zahlen. Er sollte als "Halter und Fahrer" gegen die StVO verstoßen habe. Gegen diesen Bescheid erhob er Einspruch, doch die Gerichte waren nicht auf seiner Seite: Erst gab das zuständige Amtsgericht Siegburg seinem Einspruch nicht statt, dann verwarf auch noch das OLG Köln seinen Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde. Der Mann zog letztlich vors Bundesverfassungsgericht (BVerfG).
Dort trat er als Beschwerdeführer auf – und hatte ein gutes Argument, wie das BVerfG nun entschied: Von der Eigenschaft des Mannes als Halter hätte nicht automatisch auf ihn als Fahrer geschlossen werden dürfen. Das Knöllchen-Urteil des AG enthalte keinerlei Ansätze über die sachgerechte Feststellung und Erwägung zur Täterschaft des Beschwerdeführers. Das ist bei einer Verurteilung jedoch dringend erforderlich. Als Beweise wurden im Gerichtsurteil dagegen nur die Angaben im Bußgeldbescheid, die Lichtbilder des parkenden Pkw sowie der Umstand, dass der Beschwerdeführer Halter des Fahrzeugs ist, angeführt. "Damit hat das Amtsgericht zu dem Verkehrsverstoß, der dem Beschwerdeführer angelastet wird, in seiner Person weder ein aktives Tun noch ein Begehen durch Unterlassen festgestellt", so der nun veröffentlichte Beschluss der zweiten Kammer des BVerfG vom 17. Mai 2024 (Az. 2 BvR 1457/23).
Die angeführten Beweise hätten "keinerlei" Aussagekraft über die Frage, ob der Beschwerdeführer tatsächlich auch Fahrer bei dieser bestimmten Fahrt war, so das BVerfG. Der Halter hatte zu dem ordnungswidrigkeitenrechtlichen Vorwurf immerzu geschwiegen. "Auch bei Parkverstößen gilt das Täterprinzip", sagt Verkehrsrechtler Christian Demuth gegenüber der dpa. Das Schweigen des Beschuldigten dürfe nicht gegen ihn verwendet werden. Das sah auch das BVerfG so: Wenn keine weiteren Umstände darauf hindeuten, dass der Halter auch Fahrer war, dann dürfe dies nicht einfach angenommen werden.
Nicht nur ein einfacher Rechtsanwendungsfehler
Damit ist die Geschichte aber noch nicht zu Ende, denn das BVerfG findet, dass das nicht bloß ein formeller Fehler in der Beweisführung war. Die Entscheidung des AG Siegburg verstoße darüber hinaus gegen das Willkürverbot aus Art. 3 I GG, auf den der Beschwerdeführer seine Verfassungsbeschwerde gestützt hatte. Ein Verstoß gegen diesen verfassungsrechtlichen Grundsatz sei nicht schon dann anzunehmen sei, wenn ein Fehler bei der Rechtsanwendung geschieht, "sondern erst dann, wenn die Entscheidung bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht", so das BVerfG. Welche sachfremden Erwägungen das in diesem Fall konkret gewesen sein sollen, geht aus dem Beschluss leider nicht hervor.
Das BVerfG verweist dabei auf die seit vielen Jahren anerkannte Fahrtenbuch-Praxis der Gerichte. Angesichts der "zwischenzeitlichen einhelligen Auffassung in Literatur und fachgerichtlicher Rechtsprechung zum unzureichenden Beweiswert der Haltereigenschaft als solcher" hätte das AG laut BVerfG wissen können, dass es für die Annahme der Fahrereigenschaft mehr Beweise gebraucht hätte. Verkehrsrechtler Demuth ordnet das Urteil des AG Siegburg als Ausreißer ein: Normalerweise würden Verfahren bei einer solchen Beweislage eingestellt.
mka/LTO-Redaktion
mit Material der dpa
Bundesverfassungsgericht hebt Knöllchen-Urteil auf: . In: Legal Tribune Online, 12.06.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54755 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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