Der Familiennachzug bleibt auch für Minderjährige mit subsidiärem Schutzstatus ausgesetzt. Das BVerfG hält sich dabei an die Gewaltenteilung, erinnert aber daran, dass drei Jahre Trennung von Kindern und Eltern an die Grenze des Zulässigen reichen dürften.
Der Familiennachzug ist auch bei minderjährigen Flüchtlingen mit subsidiärem Schutzstatus ausgesetzt. Das Gericht könne keine anderweitige Entscheidung treffen, ohne erheblich in die originäre Zuständigkeit des Gesetzgebers einzugreifen, so das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in einem jetzt veröffentlichten Beschluss (v. 20.03.2018, Az. 2 BvR 1266/17). Die 1. Kammer des Zweiten Senats hatte im einstweiligen Rechtsschutz darüber zu entscheiden, ob ein 13-jähriger Syrer seine Mutter nach Deutschland holen darf.
Seit fast drei Jahren lebt der 13-jährige Syrer von seiner Mutter getrennt mit seinem Onkel in Deutschland. Während die Mutter in der Türkei verblieb, schickte sie ihren Sohn nach Deutschland. Der Junge hat subsidiären Schutz nach § 4 Abs. 1 Asylgesetz (AsylG).
Keine endgültigen Konsequenzen
Das BVerfG konnte indes im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht über den Fall entscheiden, so das Gericht. Würde es das tun, würde dies im einstweiligen Rechtsschutz endgültige Konsequenzen bedeuten. Entweder die Familie wäre – und bliebe dann auch - unrechtmäßig im Land, oder das BVerfG würde über die Verfassungskonformität der Regelung des § 104 Abs. 13 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) entscheiden. Nach dieser Regelung ist der Familiennachzug für Flüchtlinge mit subsidiärem Schutzstatus bis zum 31. Juli 2018 ausgesetzt, spätestens dann können bis zu 1000 Menschen monatlich ein Aufenthaltsrecht bekommen. Um den Fall des 13-jährigen Syrers zu entscheiden, müsste das BVerfG jedoch klären, ob der § 104 Abs. 13 AufenthG mit Art. 6 Grundgesetz, nach dem Ehe und Familie unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung stehen, in Einklang steht.
Die Konsequenzen wären enorm: Käme das Gericht zur Verfassungswidrigkeit der Norm, so wäre es auch allen anderen minderjährigen Flüchtlingen erlaubt, ihre Familien nach Deutschland zu holen. Dies würde jedoch faktisch die gesetzliche Regelung der Aussetzung des Familiennachzugs unterlaufen. Genau hier sind dem BVerfG jedoch Grenzen gesetzt. "Das Bundesverfassungsgericht darf von seiner Befugnis, den Vollzug eines Gesetzes auszusetzen, nur mit größter Zurückhaltung Gebrauch machen, weil dies einen erheblichen Eingriff in die originäre Zuständigkeit des Gesetzgebers darstellt", heißt es in dem Beschluss. Auch wenn die jeweiligen Nachteile der abzuwägenden Folgenkonstellationen einander in etwa gleichgewichtig gegenüberstehen, verbiete es die mit Blick auf die Gewaltenteilung nach Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG notwendige Zurückhaltung des Bundesverfassungsgerichts, das angegriffene Gesetz auszusetzen, bevor geklärt sei, ob es vor der Verfassung Bestand hat.
Jetzt wird das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht (VG) Berlin fortgesetzt. Dort können im Rahmen der erneuten fachgerichtlichen Entscheidung neue Umstände zur gesundheitlichen Situation des 13-Jährigen berücksichtigt werden, die für die Mutter zur Erteilung eines Visums aus dringenden humanitären Gründen gem. § 22 AufenthG führen kann. Dabei dürfte eine Rolle spielen, dass – wie auch das VG bereits in seiner ursprünglichen Entscheidung anmerkte (Beschl. v. 03.03.2017, Az. VG 30 L 831.16 V) – eine tatsächliche Trennungszeit von fast drei Jahren wohl an der Grenze eines noch vertretbaren Zeitraumes liege.
"Das Bundesverfassungsgericht hat noch nicht über die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Aussetzung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten entschieden, sondern hält diese ausdrücklich für offen und klärungsbedürftig", sagt Adriana Kessler, Rechtsanwältin, Vorstand und Geschäftsführerin der gemeinnützigen Organisation Jumen e.V ., die diesen Fall unterstützt hat. "Die Ablehnung des Eilantrags durch das Bundesverfassungsgericht ist eine Niederlage, die die Familie hart trifft – aber das Verfahren vor dem VG Berlin wird fortgeführt."
Tanja Podolski, BVerfG zum Familiennachzug: . In: Legal Tribune Online, 11.04.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/27993 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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