Eilbeschluss des BVerfG veröffentlicht: Warum Maja T. nicht hätte aus­ge­lie­fert werden dürfen

02.08.2024

Die Auslieferung von T. machte deutschlandweit Schlagzeilen. Das BVerfG hatte die Überstellung einstweilig untersagt – doch da war T. schon in Ungarn. In seinem Beschluss äußert das BVerfG "erhebliche Bedenken", was den Rechtsschutz angeht.

Im Rahmen der viel diskutierten Auslieferung von Maja T. liegen nun die Entscheidungsgründe zum Eilbeschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vor. Darin äußert Deutschlands höchstes Gericht große Bedenken, was die Schaffung vollendeter Tatsachen im Fall T. anbelangt (Beschl. v. 28.06.2024, Az. 2 BvQ 49/24).

Der nonbinären Person T. wird von den ungarischen Behörden zur Last gelegt, im Februar 2023 als Mitglied einer kriminellen Vereinigung gemeinsam mit weiteren Personen Sympathisanten der rechtsextremen Szene in Budapest angegriffen und verletzt zu haben. Aufgrund eines Europäischen Haftbefehls wurde sie im Dezember 2023 in Berlin festgenommen.

Nachdem das Kammergericht (KG) die Auslieferung am 27. Juni 2024 für zulässig erklärt hatte, schafften die deutschen Behörden schnell vollendete Tatsachen: Am 28. Juni 2024 um 6:50 Uhr wurde T. den österreichischen Behörden zwecks Durchlieferung nach Ungarn übergeben. Am selben Tag um 7:38 Uhr ging der gegen die Auslieferung gerichtete Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beim BVerfG ein und schon um 11 Uhr gab das BVerfG dem Antrag statt – doch da war es bereits zu spät.

In ihrem Antrag äußerte T. die Sorge, dass hinsichtlich mehrerer Haftanstalten in Ungarn konkrete Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass die Haftbedingungen gegen Art. 4 der Europäischen Grundrechtecharta (GRCh) – das Verbot der Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung – verstießen.

"Erhebliche Bedenken" was effektiven Rechtsschutz angeht

Die 1. Kammer des Zweiten Senats des BVerfG hat am Freitag ihre Begründung der einstweiligen Anordnung veröffentlicht. Darin übt sie Kritik am Vorgehen der Justiz, was die Schaffung vollendeter Tatsachen anbelangt: Die Durchführung des Überstellungsverfahrens sei "erheblichen Bedenken hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit den Anforderungen eines effektiven Rechtsschutzes" ausgesetzt. T. habe vor dem Beginn der Überstellung keine realistische Möglichkeit gehabt, die Zulässigkeitsentscheidung des KG mit ihren Anwälten zu besprechen.

Die Kammer weist darauf hin, dass die wirksame Wahrnehmung seiner Aufgaben es erfordere, dass das BVerfG den Fachgerichten gegenüber seine grundrechtsspezifische Kontrollfunktion wahrnehmen kann. "Die Verfassungsbeschwerde ergänzt den fachgerichtlichen Rechtsschutz bewusst um eine eigene verfassungsgerichtliche Kontrolle. Mit ihr soll zusätzlich und bundeseinheitlich eine auf die grundrechtliche Perspektive spezialisierte Kontrolle gegenüber den Fachgerichten eröffnet werden", erinnert das Gericht in seinem Beschluss.

Verfassungsbeschwerde nicht offensichtlich unbegründet

Das BVerfG entscheidet im Eilverfahren nicht final über die Rechtmäßigkeit der Auslieferung, sondern nimmt lediglich eine rechtliche Prognose vor. Demnach wäre die Verfassungsbeschwerde gegen die Zulässigkeitsentscheidung des KG laut Kammer weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Die Verfassungsbeschwerde haben T.s Anwälte nach LTO-Informationen am vergangenen Montag (29. Juli 2024) erhoben.

Es erscheint für die Kammer "zumindest zweifelhaft", dass der Schutz T.s, die sich als non-binär identifiziere, in einer Haft in Ungarn hinreichend gewährleistet wird. Zudem sei die Garantieerklärung der ungarischen Justizbehörden, auf die das KG seine Entscheidung stützte, nicht spezifisch genug, um daraus abzuleiten, dass jegliche Gefährdungslagen aus Gründen der sexuellen Orientierung, der geschlechtlichen Identität, der politischen Meinung oder aus sonstigen Gründen ausgeschlossen sind.

Maßgeblich war für das BVerfG nicht zuletzt die im Eilverfahren gebotene Folgenabwägung: Die Folgen einer eventuell rechtswidrigen Auslieferung von T. nach Ungarn wögen schwerer als die Folgen einer rechtlich nicht gebotenen Untersagung der Auslieferung. Im letzteren Fall hätte man T. schließlich zu einem späteren Zeitpunkt an die ungarischen Behörden übergeben können.

kj/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

Eilbeschluss des BVerfG veröffentlicht: . In: Legal Tribune Online, 02.08.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55143 (abgerufen am: 17.11.2024 )

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