Nach Jahrzehnten in Haft macht das BVerfG dem verurteilten Mörder Klaus Bräunig Hoffnung, doch noch auf freien Fuß zu kommen. Karlsruhe gibt eine klare Linie vor, wann der Rest einer lebenslangen Freiheitsstrafen ausgesetzt werden sollte.
Seit mehr als 50 Jahren Straf- und Untersuchungshaft sitzt Klaus Bräunig wegen zweifachen Mordes eine lebenslange Freiheitsstrafe ab. Schließlich wollte er den Strafrest zur Bewährung aussetzen, die Fachgerichte lehnten dies ab. Nun war er mit seiner Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) erfolgreich und darf noch einmal darauf hoffen, doch früher freizukommen (Beschl. v. 24.02.2023, Az. 2 BvR 117/20, 2 BvR 962/21).
Bräunig wurde 1972 wegen Doppelmordes an einer Kinderärztin und ihrer Tochter verurteilt. Er soll sie brutal erstochen haben. Der Fall sorgte in der Vergangenheit viel für Schlagzeilen, denn Bräunig bestreitet die Tat noch immer. Ebenso wirft die Beweislage bis heute Fragen auf.
Ab dem Jahr 1991 befand er sich im offenen Vollzug. In den folgenden Jahren änderte sich das jedoch mehrfach, weil bei ihm wiederholt pornografisches Material und weitere unerlaubte Gegenstände aufgefunden worden waren. Seit 2017 ist erneut im offenen Vollzug.
Dem BVerfG fehlt die Begründungstiefe
Bräunig wollte letztlich raus aus der Haft und stellte einen Antrag auf Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung. Zwar stellte im Jahr 1997 das Landgericht Koblenz (LG) fest, dass die besondere Schwere der Schuld Bräunigs die weitere Vollstreckung der Freiheitsstrafe nicht mehr gebiete. Zu einer Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung kam es aber trotzdem nicht, da keine günstige Gefahrenprognose gestellt werden könne. Mehrmals hatte Bräunig versucht, den Strafvollzug vorzeitig verlassen zu können. Erfolg hatte er jedoch nie, denn die Gefahr, die von ihm ausgehe, sei zu hoch, hieß es seitens der Fachgerichte immer wieder.
Für das BVerfG waren diese Begründungen der Fachgerichte nun zu pauschal. Ihre Entscheidungen sind nach Bräunigs erfolgreicher Verfassungsbeschwerde aufgehoben, denn sie verletzen ihn nach Auffassung der Verfassungsrichterinnen und -richter in seinem Grundrecht nach Art. 2 Abs. 2 S. 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 2 S. 1 Grundgesetz (GG), weil sie nicht dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gerecht würden. Nach einer so langen Freiheitsentziehung wie im Fall Bräunig hätten die Gerichte anders entscheiden oder begründen müssen, so das BVerfG. Sie verfehlten sämtlich die Anforderungen an die "Begründungstiefe".
Auch wenn zu befürchtene Rückfalltaten bei der Entscheidung über die Aussetzung des Strafrests eine gewichtige Rolle spielen, dürfe der Freiheitsanspruch deswegen nicht in den Hintergrund rücken: "Mit zunehmender Dauer einer Freiheitsentziehung verengt sich der Bewertungsrahmen des Strafvollstreckungsrichters und wächst die verfassungsgerichtliche Kontrolldichte," führt das BVerfG in seinem Beschluss aus.
Im Alter verringerte "sexuelle Dranghaftigkeit"
Ein wichtiger Aspekt, den die Gerichte übersehen hätten, sei das Alter des Täters. In seinem hohen Alter sei es nicht wahrscheinlich, dass seine "sexuelle Dranghaftigkeit" wie zum damaligen Tatzeitpunkt ausgeprägt sei, so das BVerfG. Die Gefahr von Sexualstraftaten hatten die Fachgerichte vor allem darin gesehen, weil bei Bräunig während der Haft immer wieder pornografisches Material aufgefunden worden war. Dieses Argument müsse im Kontext betrachtet werden, so das BVerfG. Denn allein der Besitz pornografischen Materials könne keinen Aufschluss über die Gefahr künftiger schwerer Sexualstraftaten bieten.
Zudem hat das BVerfG positive Aspekte in Bräunigs Entwicklung gesehen, die es zu beachten gelte und die die Fachgerichte bei ihren Entscheidungen hätten beachten müssen. So habe Bräunig im offenen Vollzug keine Straften begangen und ihn beanstandungsfrei absolviert. Das müsse positiv ins Gewicht fallen und könne nicht unbeachtet bleiben, kritisiert das BVerfG.
LG Koblenz muss neu entscheiden
Wird ein Strafrest zur Bewährung ausgesetzt, gibt es immer die Möglichkeit, diesen mit Auflagen und Weisungen zu verknüpfen. Doch auch diese Option habe bei den Fachgerichten kaum Beachtung gefunden, wie das BVerfG feststellte. Dabei sei es gerade ihre Aufgabe gewesen, sich mit risikominimierenden Auflagen für Bräunig auseinanderzusetzen. Besonders weil Sachverständige festgestellt hatten, dass Bräunig kein Impulsivtäter sei, könne das verbleibende Restrisiko durch entsprechende Weisungen während der Bewährung minimiert werden. Das könne zum Beipiel die Betreuung durch Sozialarbeiter oder die Untersagung des Besitzes von bestimmten Gegenständen sein, so das BVerfG.
Für das Karlsruher Gericht ist jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass durch Bewährungsauflagen eine begleitende und kontrollierende Struktur für Bräunig geschaffen werden kann, "die die Gefahr erneuter, gegen das Leben gerichteter Sexualstraftaten auf das unvermeidbare Mindestmaß beschränkt."
Mit seiner Entscheidung hat das BVerfG hohe Anforderungen daran gestellt, die Aussetzung eines Strafrestes zur Bewährung abzulehnen. Ob Klaus Bräunig tatsächlich frei kommt, muss nun erneut das LG Koblenz entscheiden.
BVerfG zum Fall Klaus Bräunig: . In: Legal Tribune Online, 31.03.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51457 (abgerufen am: 15.11.2024 )
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