BVerfG zur Wahl des Bundestagspräsidiums: Abge­ord­nete ohne eigenes Vor­schlags­recht

22.03.2022

Mit einem zweiten Kandidaten, den ein MdB aus den eigenen Reihen vorschlug, versuchte die AfD bei der Wahl eines Bundestags-Vizepräsidenten zum Zug zu kommen. Der Trick scheiterte. Vorschlagen dürften den nur Fraktionen, so das BVerfG.

Der Bundestag darf intern festlegen, dass Kandidatenvorschläge für die Wahlen zu seinem Präsidium nur von den jeweiligen Fraktionen kommen können. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) wies am Dienstag die Organklage eines AfD-Politikers zurück, der 2019 vergeblich versucht hatte, als einzelner Abgeordneter einen zusätzlichen Vorschlag zu machen (Urt. v. 22.03.2022, Az. 2 BvE 2/20).

Seit ihrem Einzug in den Bundestag 2017 besetzt die AfD als einzige Fraktion keinen Posten im Präsidium. Die anderen Parteien haben sämtliche Kandidatinnen und Kandidaten durchfallen lassen. Das Präsidium gesteht nur den Fraktionen ein Vorschlagsrecht zu. Der AfD-Politiker Fabian Jacobi streitet dafür, auch als einzelner Abgeordneter einen Namen ins Spiel bringen zu können.

Was dahintersteckt, hatte er in der Verhandlung erklärt: Laut Geschäftsordnung des Bundestages (GO-BT) gelten in einem dritten Wahlgang niedrigere Hürden. Dann ist bei zwei Bewerbern der gewählt, der die meisten Stimmen bekommt. Jacobi hatte im November 2019 mit Wissen der Fraktion einen zusätzlichen AfD-Kandidaten vorgeschlagen. Der Hintergedanke: Wenn zwei AfD-Leute gegeneinander anträten, würden die eigenen Stimmen reichen. Der dritte Wahlgang ist allerdings nur auf dem Papier vorgesehen. Tatsächlich ist immer nach zwei Wahlgängen Schluss.

Seinen Antrag wies die Vizepräsidentin mit der Begründung zurück, einem einzelnen Abgeordneten stünde kein eigenes Vorschlagsrecht für die Wahl zu. Dagegen wandte sich Jacobi im Wege eines Organstreitverfahrens, weil er sich in seinem freien Mandant als Abgeordneter aus Art. 38 Abs. 1 S. 2 Grundgesetz (GG) verletzt sah.

Bundestag hat Geschäftsordnungsautonomie

Dem folgte das BVerfG nicht. Es sah zwar den Schutzbereich eröffnet, weil Abgeordnete vollumfänglich an der parlamentarischen Willensbildung mitwirken dürfen. Dazu gehöre es auch, sich  an der Wahl der Stellvertreter des Bundestagspräsidenten durch eigene Wahlvorschläge zu beteiligen.

Vizegerichtspräsidentin Doris König sagte bei der Urteilsverkündung aber, dass die  Einschränkung des Vorschlagsrechts "verfassungsrechtlich hinreichend legitimiert" sei. Sie beruht auf § 2 Abs. 1 Satz 2 GO-BT, der bestimmt, dass jede Fraktion durch mindestens einen Vizepräsidenten oder eine Vizepräsidentin im Präsidium vertreten ist.

Der Bundestagspräsident bzw. in diesem Fall seine Stellvertreterin legten die Vorschrift so aus, dass nur den Fraktionen ein eigenes Vorschlagsrecht zusteht – auch wenn die GO-BT keine ausdrückliche Regelung hierzu enthält. Verfassungsrechtlich hatte das BVerfG hieran im Hinblick auf die Geschäftsordnungsautonomie des Parlaments nichts auszusetzen. Es habe deswegen nur einen eingeschränkten Prüfungsumfang, der sich lediglich am Grundsatz der fairen und loyalen Anwendung Geschäftsordnung orientiert. Anhaltspunkte für eine evident sachwidrige Auslegung sahen die Richterinnen und Richter nicht.

Abgeordneter kann sich an Fraktionsvorschlag beteiligen

Gleichwohl führt diese Auslegung von § 2 Abs. 1 S. 2 Go-BT zu einem Eingriff in das freie Mandat des Abgeordneten, welcher aber nach Auffassung des BVerfG verfassungsrechtlich gerechtfertigt sei. Die Funktionsfähigkeit des Parlaments stelle ein gleichwertiges Rechtsgut von Verfassungsrang dar, das grundsätzlich geeignet sei, Einschränkungen der Beteiligungsmöglichkeiten der Abgeordneten zu rechtfertigen, heißt es in dem Karlsruher Urteil. Mit dem für jede Fraktion vorgesehenen Grundmandat für einen Vizepräsidenten sollen nämlichen die Interessen und Vorstellungen aller eingebracht und berücksichtigt werden.

Es liege deswegen auf der Hand, dass ein auf die Fraktion beschränktes Vorschlagsrecht die Arbeitsfähigkeit des Parlaments verbessere, so der Zweite Senat. Bei dem Vorschlag eines einzelnen Abgeordneten sei es nicht auszuschließen, dass eine Person gewählt würde, die gar nicht das Vertrauen der  zu vertretenen Fraktion genieße. Dies gelte umso mehr, wenn der Wahlvorschlag des Einzelnen wie im vorliegenden Fall neben den Wahlvorschlag der Fraktion trete.

Die Mitwirkungsbefugnisse an der parlamentarischen Willensbildung seien nach dem BVerfG auch nur geringfügig eingeschränkt. Dem Abgeordneten sei es unbenommen, sich innerhalb der Fraktion für den von ihm favorisierten Vorschlag einzusetzen und darauf hinzuwirken, dass die Fraktion sich diesen zu eigen macht. Insgesamt könne er an der Wahl eines Vizepräsidenten des Bundestages also selbst mitwirken.

Im zweiten angängigen – zentralen – Verfahren in diesem Komplex blieb die AfD ebenfalls erfolglos. Das BVerfG verwarf auch einen Antrag der Bundestagsfraktion dagegen, dass keiner ihrer vorgeschlagenen Vertreter in das Bundestagspräsidium gewählt wurde.

mgö/LTO-Redaktion

Mit Materialien der dpa

Zitiervorschlag

BVerfG zur Wahl des Bundestagspräsidiums: . In: Legal Tribune Online, 22.03.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47903 (abgerufen am: 16.11.2024 )

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