Eine nachträglich geschaffene Norm im TVG soll Minderheitsgewerkschaften schützen, genau die wehren sich jetzt jedoch gegen die Regelung. Das BVerfG ließ sie allerdings erst einmal abblitzen und verwies sie an die Fachgerichte.
Eigentlich soll die extra geschaffene Neuregelung in § 4a Abs. 2 S. 2 Hs. 2 Tarifvertragsgesetz (TVG) dafür sorgen, dass die Tarifverträge größerer Gewerkschaften diejenigen der kleineren Gewerkschaften in einem Betrieb nicht unberücksichtigt verdrängen. Zwei Gewerkschaften und einem Gewerkschaftsdachverband, die sich selbst den kleineren Gewerkschaften zuordnen, geht diese Regelung aber noch nicht weit genug. Sie wandten sich mit ihren Rechtssatzverfassungsbeschwerden zwecks Überprüfung der Norm an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG), das sie aber abwies, wie am Donnerstag bekannt wurde (Beschl. v. 19.05.2020 Az.1 BvR 672/19, 1 BvR 2832/19, 1 BvR 797/19).
Für den Fall, dass verschiedene Tarifverträge in einem Unternehmen miteinander kollidieren, sah das TVG ursprünglich vor, dass der Tarifvertrag derjenigen Gewerkschaft verdrängt wird, die weniger Mitglieder im Betrieb organisiert. Diese Regelung hatte das BVerfG bereits 2017 für verfassungswidrig erklärt, soweit einzelne Berufsgruppen mit ihren Interessen dadurch unberücksichtigt blieben. Auf dieser Grundlage hatte der Gesetzgeber 2019 die Neuregelung im TVG beschlossen. Diese sieht konkret vor, dass neben dem Tarifvertrag der Mehrheitsgewerkschaft auch Normen des Minderheitstarifvertrags anwendbar sein sollen, wenn sonst Interessen Einzelner nicht berücksichtigt würden.
Verletzung der Koalitionsfreiheit nicht dargelegt, erst einmal vor die Fachgerichte ziehen
Die beschwerdeführenden Gewerkschaften sehen sich durch diese Neuregelung aber in ihrem Grundrecht der Koalitionsfreiheit verletzt. Ihr Argument: Als kleine Gewerkschaft sei zu erwarten, dass sie solidarisch für andere quasi mitverhandeln müsse, während zu erwarten sei, dass die meisten Gewerkschaftsmitglieder trotzdem in der jeweils größeren Gewerkschaft Mitglied bleiben. Außerdem reiche die Neuregelung nicht weit genug, weil unter bestimmten Bedingungen der Tarifvertrag der kleineren Gewerkschaft eben doch verdrängt werden könne.
Einen Zwang, die Interessen von Nichtmitgliedern zu berücksichtigen, haben die Beschwerdeführer nach Auffassung des BVerfG aber nicht ausreichend dargelegt. Es erschließe sich nicht, so die Verfassungsrichter, wie die neue Regelung des TVG die Gewerkschaft dazu zwinge, für andere mitzuverhandeln. Auch sei es fraglich, ob die Gewerkschaften überhaupt unmittelbar betroffen sind. Denn die neue Regelung führe gerade dazu, dass die Tarifverträge von Minderheitsgewerkschaften in solchen Fällen nicht verdrängt werden, in denen die Interessen der Arbeitnehmergruppe im Mehrheitstarifvertrag nicht ernsthaft und wirksam berücksichtigt sind.
Laut den Karlsruher Richtern ist es außerdem erst einmal Aufgabe der Fachgericht zu klären, ob und wie weit ein Tarifvertrag alle berechtigten Interessen der Beteiligten berücksichtigt und ob es bei der Anwendung der neuen Regelung praktische Schwierigkeiten gebe. Denn der Tarifvertrag der Mehrheitsgewerkschaft könne sich gerade nicht auf eine Art "Richtigkeitsvermutung" stützen, die die Geltung von Tarifverträgen einer Minderheitsgewerkschaft von vornherein überdecken.
vbr/LTO-Redaktion
BVerfG zur Tarifkollision: . In: Legal Tribune Online, 02.07.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42075 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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