In Eilverfahren zur Übernahme von Wohn- und Heizkosten dürfen die Fachgerichte nicht erst darauf abstellen, ob gegen den Empfänger von Arbeitslosengeld II bereits Räumungsklage erhoben wurde. Zu schematisch entschieden, rügt das BVerfG.
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat der Verfassungsbeschwerde eines Hartz-IV-Empfängers teilweise stattgegeben, der sich gegen die Versagung vorläufiger Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung gewehrt hat.
Die Fachgerichte dürfen den Anspruch auf Durchsetzung des materiellen Rechts nicht dadurch unzumutbar verkürzen, dass sie Verfahrensrecht übermäßig streng handhaben. Diese Anforderungen gelten auch im sozialrechtlichen Eilrechtsschutz, stellten die Verfassungsrichter in ihrer am Dienstag bekannt gewordenen Entscheidung klar (Beschl v. 01.08.2017, Az. 1 BvR 1910/12).
Der Beschwerdeführer bezieht Arbeitslosengeld II nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) II. Da das Jobcenter davon ausging, er lebe mit einer weiteren Person in einer Bedarfsgemeinschaft, bewilligte es ihm nur reduzierte Leistungen. Im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtete das Sozialgericht (SG) das Jobcenter dann, ihm vorläufig die höheren Leistungen für einen Alleinstehenden einschließlich der Kosten der Unterkunft und Heizung zu gewähren.
Die dagegen erhobene Beschwerde des Jobcenters war vor dem Landessozialgericht (LSG) aber erfolgreich. Solange noch keine Räumungsklage erhoben worden sei, drohe dem Mann keine Wohnungs- oder Obdachlosigkeit, meinten die Sozialrichter. Ihm höhere Kosten für Unterkunft und Heizung zu gewähren, sei daher nicht eilig. Das verletzt ihn in seinem Recht auf effektiven Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 S. 1 Grundgesetz (GG), entschied das BVerfG.
Anforderungen an effektiven Eilrechtsschutz überspannt
Das Landessozialgericht (LSG) habe die Anforderungen an die Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes für die geforderten Leistungen und damit an einen effektiven Eilrechtsschutz überspannt, so die Karlsruher Richter.
Ob ein Anordnungsgrund vorliegt, dürfe nicht schematisch beurteilt werden. Vielmehr müssten die Sozialgerichte in Eilverfahren prüfen, welche negativen Folgen den Betroffenen im konkreten Einzelfall drohen. Relevante Nachteile seien dabei nicht nur eine Wohnungs- oder Obdachlosigkeit, sondern auch andere negative Folgen finanzieller, sozialer, gesundheitlicher oder sonstiger Art.
Auch die Annahme des LSG, dass Wohnungs- oder Obdachlosigkeit erst dann drohe, wenn das Mietverhältnis bereits gekündigt und eine Räumungsklage erhoben worden ist, kritisiert die 2. Kammer des Ersten Senats. Es könne nicht pauschal angenommen werden, dass zu diesem Zeitpunkt der Verlust der Wohnung noch verhindert werden kann.
pl/acr/LTO-Redaktion
Pia Lorenz, BVerfG zu Wohn- und Heizkosten für Hartz-IV-Empfänger: . In: Legal Tribune Online, 22.08.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/24063 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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