BVerfG weist Verfassungsbeschwerde ab: Land­kreis darf nicht für Kin­des­rechte ein­stehen

09.02.2021

Da der Gesetzgeber gerichtliche Vertretungsmöglichkeiten für Kinder geschaffen habe, könne der Staat selbst nicht im Wege der Prozessstandschaft die Verletzung von Grundrechten geltend machen, so eine Entscheidung des BVerfG.

Ein Landkreis als Träger des Jugendamts kann in der Regel nicht zum Schutz eines Kindes vor das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ziehen. Das geht aus einer am Dienstag veröffentlichten Kammerentscheidung des höchsten deutschen Gerichts hervor. Die Karlsruher Richterinnen und Richter nahmen eine Verfassungsbeschwerde des Landkreises Breisgau-Hochschwarzwald nicht zur Entscheidung an (Beschl. v. 15.2.2020, Az. 1 BvR 1395/19).

Dabei ging es um ein Mädchen, dessen Mutter mit einem neuen Partner zusammengezogen war. Dieser war zu einer Haftstrafe auf Bewährung verurteilt worden, weil er übers Internet Kontakt zu jungen Mädchen gesucht und sie überredet hatte, ihm Fotos von ihrem Intimbereich zu schicken. 

Auf Initiative des Jugendamts hatte das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe der Frau zunächst das Aufenthaltsbestimmungsrecht für ihre 2007 geborene Tochter entzogen, das Mädchen kam in ein Heim. Das hatte der Bundesgerichtshof (BGH) Anfang 2019 als unverhältnismäßig beanstandet. Das Mädchen leide sehr unter der Herausnahme aus der Familie, und die Lebenssituation des Mannes habe sich positiv entwickelt. Daraufhin hatte das OLG der Frau unter anderem aufgegeben, einen Familienhelfer zu beantragen.

Es liegt keine Ausnahme für Prozessstandschaft vor

Der Landkreis hatte das nicht hinnehmen wollen und Verfassungsbeschwerde eingereicht - vergeblich. Der Landkreis hat sich laut Angaben des Gerichts sowohl auf die Verletzung von Grundrechten des Kindes als auch von eigenen Grundrechten gestützt. Die Karlsruher Richterinnen und Richter sind zunächst der Auffassung, dass der Landkreis die Rechte des Kindes im Wege der Prozessstandschaft nicht geltend machen könne. Grundsätzlich sei eine Prozessstandschaft nur in Ausnahmefällen möglich, insbesondere wenn die Rechte sonst überhaupt nicht per Verfassungsbeschwerde geltend gemacht werden können.

In Bezug auf die Rechte des Kindes treffe den Staat eine Schutzpflicht (Art. 6 Abs. 2 S. 2 und Art. 2 Abs. 1 GG), für die Vertretung normative Regelungen zu schaffen. Dies habe er getan und zwar dergestalt, dass ein Ergänzungspfleger für das Verfahren bestellt werden kann (§ 1909 Abs. 1 S. 1 BGB), wenn der gesetzliche Vertreter an der gerichtlichen Vertretung gehindert ist. In Bezug auf Familiensachen könne zudem nach § 18 Gesetz über das Verfahren in Familiensachen (FamFG) ein Verfahrensbeistand diese Aufgaben übernehmen. In dem vorliegenden Fall stünde dem nichts dagegen, sodass eine Prozessstandschaft des Landkreises ausgeschlossen sei.

Auch die Verletzung eigener Rechte könne der beschwerdeführende Landkreis nicht geltend machen. Das staatliche Wächteramt in Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG stelle kein materielles Grundrecht dar. Es enthalte lediglich eine staatliche Verpflichtung. Der Staat habe darüber zu wachen, dass Kinder hinreichend Schutz und Hilfe erhalten, um sich dem Menschenbild des Grundgesetzes entsprechend zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit zu entwickeln. Ein subjektives Recht der mit dem Wächteramt befassten Behörden ergebe sich daraus jedoch nicht.

pdi/LTO-Redaktion

Mit Material der dpa

Zitiervorschlag

BVerfG weist Verfassungsbeschwerde ab: . In: Legal Tribune Online, 09.02.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44224 (abgerufen am: 22.11.2024 )

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