Es wird einer der größten Auslandseinsätze der Bundeswehr und zugleich ihre derzeit heikelste Mission: Die Beteiligung deutscher Soldaten am Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat ist politisch wie rechtlich umstritten.
Monatelang hat sich Deutschland aus den Luftangriffen gegen die Terrormiliz Islamischer Staat herausgehalten. Jetzt soll alles ganz schnell gehen. Am Donnerstag hatte die Mehrheit im Bundestag mit den Stimmen der Regierungsfraktionen für eine Beteiligung an der Militäroperation gegen die Terrormiliz gestimmt.
Geplant ist zwar immer noch kein Einsatz der Bodentruppen der Bundeswehr, sehr wohl aber der Einsatz von vier bis sechs "Tornado"-Jets zu Aufklärungszwecken über Syrien, einer Fregatte der deutschen Marine, die den französischen Flugzeugträger "Charles de Gaulle" im östlichen Mittelmeer absichern soll, Luftbetankung der französischen Kampfjets durch einen Airbus A310 der Luftwaffe sowie Satellitenaufklärung.
Nun arbeitet das Verteidigungsministerium mit Hochdruck an den Details. Schon am Dienstag entscheidet das Kabinett, und auch die darauf folgenden Beratungen im Bundestag sollen nicht lange dauern. Der notwendige Beschluss des Bundestages für das Mandat kann dann vielleicht schon nächste Woche getroffen werden, auf jeden Fall aber in den nächsten Wochen. Wie lange die militärischen Vorbereitungen für den Einsatz dauern werden, ist allerdings noch unklar. Spätestens Anfang nächsten Jahres sollen deutsche "Tornados" über Syrien kreisen.
Der geplante Bundeswehreinsatz gegen die IS-Terrormiliz gab der Debatte über mögliche Anschläge in Deutschland neue Nahrung. Die Grünen äußerten Skepsis gegenüber der Zulässigkeit der Maßnahme. Die Linke fürchtet wachsende Gefahren und bezweifelt, dass die Rechtsgrundlagen für ein militärisches Engagement Deutschlands gegeben sind. Eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht behält sie sich vor.
Auf welche Rechtsgrundlagen stützt die Regierung den Einsatz?
Die Bundesregierung beruft sich unter anderem auf die Resolution des UN-Sicherheitsrats vom 20. November, in der Frankreich die Mitgliedstaaten aufgefordert hatte, "alle notwenigen Maßnahmen" im Kampf gegen den IS im Irak und in Syrien zu ergreifen, um terroristische Handlungen zu verhüten." Die Resolution unterstützt ein Vorgehen gegen den IS zwar, erlaubt aber nicht ausdrücklich die Anwendung von Gewalt.
Darüber hinaus zieht die Regierung zwei weitere Grundlagen heran: Die UN-Charta, insbesondere das in Artikel 51 vorgesehene Selbstverteidigungsrecht sowie die im Vertrag über die Europäische Union (AEUV) festgeschriebene Beistandspflicht nach Art. 42 Abs. 7. Der französische Präsident François Hollande hat die EU-Partner unter Berufung auf diesen Artikel um Hilfe gebeten. Es ist das erste Mal, dass er zur Anwendung kommt.
Allerdings muss ein Auslandseinsatz auch mit dem Grundgesetz (GG) vereinbar sein – dieses lässt gemäß Artikel 24 nur Auslandseinsätze in Systemen "gegenseitiger kollektiver Sicherheit" zu. Normalerweise sind damit die universalen Sicherheitssysteme wie die Vereinten Nationen oder die NATO gemeint, die den Mitgliedsstaaten Schutz vor zwischenstaatlichen Aggressionen versprechen. Ob die EU als ein solches System gelten kann, ist allerdings umstritten.
Die Definitionsfrage, wann ein System der kollektiven Sicherheit vorliegt, hatte sich bereits Anfang des Jahres bei einem geplanten Einsatz einer losen Allianz von 60 Staaten im Irak gegen den IS gestellt. Der wissenschaftliche Dienst des Bundestages hatte zumindest in dieser sog. ad hoc-Koalition keine solche Rechtsqualität erkannt.
Die Kriegsfrage stellt sich nun auch in Deutschland
Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen betonte, aus rechtlicher Sicht sei Deutschland nicht im Krieg, "weil wir keinen Staat bekämpfen". Ob sich Deutschland mit diesem Einsatz allerdings tatsächlich im Krieg befindet, ist sowohl Ansichts- als auch Definitionssache.
Der Begriff "Krieg" taucht im Völkerrecht nicht auf. Vielmehr ist von "bewaffneten Konflikten" (Art. 2 der Genfer Konvention) oder einem "bewaffneten Angriff" (Art. 51 der Charta der Vereinten Nationen) die Rede. Diese Angriffe oder Konflikte können einerseits auf internationaler Ebene, also zwischen zwei anerkannten Staatssubjekten stattfinden; im täglichen Sprachgebrauch ist meist erst dann von Krieg die Rede. Ein Staat ist der IS allerdings nicht – die Selbstproklamation reicht hierfür nicht aus.
Es gibt darüber hinaus auch sogenannte nicht-internationale bewaffnete Konflikte, in denen zumindest auf einer Seite der Auseinandersetzung kein Staat steht. Klassische Fälle dieser Art sind Bürgerkriege innerhalb eines Staates oder Unabhängigkeitskriege zur Abspaltung eines Gebietes von einem Staat, doch insbesondere seit dem 11. September wird der nicht-internationale Konflikt oft auch zur Rechtfertigung von Militäreinsätzen im "Kampf gegen den Terrorismus" als Grundlage zitiert.
Mit Materialien von dpa
Anne-Christine Herr, Bundeswehr gegen den IS: . In: Legal Tribune Online, 27.11.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17701 (abgerufen am: 05.11.2024 )
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