Trotz scharfer Kritik seitens der Länder: Corona-Not­b­remse pas­siert Bun­desrat

22.04.2021

Die Länder feuern massiv gegen das neue Infektionsschutzgesetz und die darin vorgesehene bundeseinheitliche Notbremse. Trotzdem halten sie es im Bundesrat nicht auf - zähneknirschend.

Der Bundesrat hat das geänderte Infektionsschutzgesetz (IfSG) mit der Corona-Notbremse trotz massiver Kritik passieren lassen. In einer Sondersitzung verzichtete die Länderkammer am Donnerstag darauf, den Vermittlungsausschuss zu dem Gesetz anzurufen, das der Bundestag am Vortag verabschiedet hatte. Es gab keine förmliche Abstimmung. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier unterzeichnete das Gesetz anschließend, das jetzt nur noch im Bundesgesetzblatt veröffentlicht werden muss.

Alle sechs Ministerpräsidenten, die sich in der Aussprache zu Wort meldeten, äußerten erhebliche Bedenken. Sie erkannten aber wegen der anhaltenden Corona-Pandemie den Handlungsbedarf an und wollten das Gesetz daher nicht aufhalten. Die Ministerpräsidenten sahen durch die Bank verfassungsrechtliche Bedenken - insbesondere wegen der starren Notbremse - und Probleme bei der praktischen Umsetzung. Sie monierten, dass der Bund nicht die Erfahrungen der Länder in der Pandemiebekämpfung berücksichtigt habe.

Bundesratspräsident Reiner Haseloff (CDU) kritisierte in scharfer Form die Kompetenzverlagerung auf den Bund. "Der heutige Tag ist für mich ein Tiefpunkt in der föderalen Kultur der Bundesrepublik Deutschland", sagte der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt. Die Länderkammer berate über ein Gesetz, "dessen Entstehung, Ausgestaltung und Ergebnis unbefriedigend sind". Der saarländische Regierungschef Tobias Hans (CDU) betonte: "Ob diese Kompetenzverlagerung auf die Bundesebene eine wirkungsvollere Art der Pandemiebekämpfung darstellt, dieser Beweis, der ist noch nicht erbracht. Und der muss erbracht werden."

"Verfassungsrechtlich problematisch"

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) warb in der Sitzung nochmals für das Gesetz und spielte den Ball ins Feld der Länder zurück. "Seit Anfang März sind die Instrumente ja alle benannt, aufgeschrieben, eigentlich vereinbart und geeint, inklusive der Ausgangsbeschränkungen", sagte er. "Und da müssen wir uns ehrlich machen: Obwohl Bund und Länder dasselbe wollen, ist bei vielen der Eindruck entstanden, wir würden nicht am selben Strang ziehen in den letzten Wochen." Das einheitliche Handeln, so der Eindruck, sei verloren gegangen. Das Gesetz sei "das Ergebnis all dieser Entwicklungen".

Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier bezeichnete die starren Ausgangsbeschränkungen als "verfassungsrechtlich problematisch". Es stelle sich auch die Frage, wie zum Beispiel die vorgesehenen Schulschließungen umgesetzt werden sollten. Bouffier bedauerte es, "dass der Bundestag die Chance hat verstreichen lassen, viele Erfahrungen der Länder, die wir aus einem Jahr praktischem Krisenmanagement gesammelt haben, mehr und intensiver aufzunehmen". Das hätte die Akzeptanz in der Bevölkerung deutlich erhöhen können.

Der niedersächsische Regierungschef Stephan Weil (SPD) sagte, die Neuregelungen seien für den Infektionsschutz "kein großer Wurf". Bei Ausgangsbeschränkungen sei die verfassungsrechtliche Zulässigkeit fraglich, er sei "sehr gespannt" auf die Rechtsprechung. Für sein Land bedeute das Gesetz sogar erhebliche Lockerungsmöglichkeiten. Weil fasste seine Bewertung so zusammen: "Für mein Land unnötig, aber ich füge hinzu: auch unschädlich."

Gezogen werden soll die Notbremse, wenn in einem Landkreis oder einer Stadt die Zahl der gemeldeten Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen an drei Tagen hintereinander über 100 liegt. Dann dürfen Menschen ab 22.00 Uhr die eigene Wohnung in der Regel nicht mehr verlassen. Alleine spazierengehen und joggen ist bis Mitternacht erlaubt. Es darf sich höchstens noch ein Haushalt mit einer weiteren Person treffen, wobei Kinder bis 14 Jahre ausgenommen sind. Läden dürfen nur noch für Kunden öffnen, die einen negativen Corona-Test vorlegen und einen Termin gebucht haben. Präsenzunterricht an Schulen soll ab einer Inzidenz von 165 meist gestoppt werden.

Verfassungsbeschwerden eingegangen und angekündigt

Noch bevor der Bundesrat mit seiner Sitzung begann, war bereits der erste Eilantrag gegen das IfSG beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) eingegangen. Welche Erfolgsaussichten das haben kann, vermochte ein Sprecher in Karlsruhe am Donnerstag aber nicht zu sagen. Rechtsanwalt Claus Pinkerneil mit Kanzleien in Berlin und München teilte mit, Verfassungsbeschwerde eingelegt zu haben. Ihm gehe es vor allem darum, dass das Gesetz die Maßnahmen weitestgehend (verwaltungs-)gerichtlicher Kontrolle entziehe, dass der Inzidenzwert als alleiniger Maßstab ungeeignet sei und dass insbesondere Ausgangsbeschränkungen unverhältnismäßig seien. 

Auch die FPD-Spitze äußerte verfassungsrechtliche Bedenken und strebt eine Entscheidung des BVerfG an. Zweifel an der Wirksamkeit von Ausgangssperren seien ein Argument für die Befürchtung, dass diese unverhältnismäßig und damit verfassungswidrig seien, schrieb FDP-Chef Christian Lindner am Donnerstag auf Twitter. "Das muss nun in Karlsruhe beurteilt werden, damit alle Rechtssicherheit haben", forderte er. FDP-Generalsekretär Volker Wissing schrieb: "Grundrechte gelten auch in Corona-Zeiten. Der Staat muss sein Handeln an unserer Verfassung ausrichten." Die FDP werde den Nachweis dieser Verhältnismäßigkeit einfordern, auch vor dem BVerfG.

Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) kündigte ebenfalls den Gang nach Karlsruhe an. Ziel sei es, die verfassungswidrigen Ausgangssperren zu stoppen, so die GFF in einer Mitteilung. Ein von der GFF in Auftrag gegebenes Gutachten der Verfassungsrechtlerin Prof. Dr. Anna Katharina Mangold kam zuvor zu dem Schluss, dass die Ausgangssperren nicht dem Bestimmtheitsgebot genügen und unverhältnismäßig seien. Ähnlich sieht das eine Händlerinitiative, die von der Kanzlei Heuking Kühn Lüer Wojtek bei einer Verfassungsbeschwerde unterstützt wird. Die Händler kritisieren am IfSG eine Verzerrung des Wettbewerbs, wenn beispielsweise Lebensmittelhändler weiter Schuhe, Bekleidung oder Spielwaren verkaufen können, während die entsprechenden Fachhändler schließen müssen. Michael Schmittmann, federführender Partner bei Heuking erklärte, dass die Gesetzesnovelle den Gleichheitsgrundsatz und den Eigentumsschutz missachte.

Das vom Bundestag am Mittwoch beschlossene Gesetz ist ein Einspruchsgesetz. Das heißt, eine Zustimmung des Bundesrates war nicht nötig. Die Länderkammer hätte aber den Vermittlungsausschuss von Bundesrat und Bundestag anrufen und das Gesetz damit zeitlich noch etwas hinauszögern können.

dpa/acr/LTO-Redaktion

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Trotz scharfer Kritik seitens der Länder: . In: Legal Tribune Online, 22.04.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44787 (abgerufen am: 24.11.2024 )

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